Die Widmung: Roman (German Edition)
dachte Zee. Sie war auf die Beerdigung gegangen. Sie hatte Lilly zu Hause behandelt. Sie hatte ihr ungebeten Ratschläge erteilt.
Zee hatte auch die Grenze zwischen Lilly und Maureen verschwimmen lassen, und zwar so sehr, dass sie sich jeden Tag aufs Neue fragte, ob sie objektiv genug gewesen war oder ob ihr Wunsch, Lillys Fall zu einem anderen Ende zu bringen als den ihrer Mutter, sie zu sehr persönlich involviert hatte und sie blind geworden war. Der Tag, an dem sie Lilly gesagt hatte, sie müsse Adam verlassen, war der Wendepunkt gewesen, der Tag, an dem Zee die erste große Grenze überschritten hatte. Und das Schlimmste dabei war, dass sie wusste, sie würde es wieder tun. Eigentlich sollte man den Patienten selbst entscheiden lassen, wie er sich verhielt. Aber wenn sie jetzt noch einmal in dieselbe Situation käme, würde Zee sich umso mehr bemühen, das Ganze zu stoppen, statt sich zurückzuhalten. Und das war ein weiterer Grund, weshalb sie seit kurzem ihre Berufswahl anzweifelte.
»In Lillys Fall habe ich mehr Grenzen überschritten, als du weißt«, sagte Zee.
Mattei sah sie an und wartete.
»Ich will nicht darüber reden«, sagte Zee.
Eine Weile saßen sie schweigend da. Weil Zee tatsächlich dazu nichts weiter erklärte, ergriff Mattei das Wort. »Es ist sehr schwer, wenn man den ersten Patienten verliert.«
»Willst du mir damit sagen, dass es noch mehr werden?«
»Wahrscheinlich«, sagte Mattei.
»Wie viele hast du verloren?«
»Ein paar.«
»Wie viele?«
»Ist das wichtig für dich?«
»Ja«, sagte Zee.
»Warum?«
Zee antwortete nicht. Sie wusste, es war ein Versuch, Mattei dazu zu bringen, dieselben Grenzen zu überschreiten, die sie selbst überschritten hatte, und sie wusste, dass Mattei ihre Taktik durchschaut hatte.
Mattei überlegte lange, bevor sie antwortete. »Drei.«
Zee tat es auf der Stelle leid. Aber gleichzeitig war sie auch dankbar.
»Wie kannst du damit leben?« Es war eine ernsthafte Frage.
»Tag für Tag«, sagte Mattei.
»Ich glaube, dafür bin ich nicht geschaffen«, sagte Zee.
»Dafür bist du absolut geschaffen«, entgegnete Mattei. »Ich hätte dich nicht eingestellt, wenn es anders wäre.«
Sie schaute in ihren Computer, schrieb einen Namen und eine Nummer auf einen Zettel und schob ihn über den Tisch zu Zee.
»Was ist das?«
»Der Seelenklempner des Seelenklempners«, sagte sie. »Er ist sehr gut. Ich gehe gelegentlich selbst zu ihm. Du musst mit jemandem darüber sprechen, und ich kann das nicht mehr sein.«
»Danke«, sagte Zee. Sie meinte das ehrlich. Die Grenze, die sie jetzt eben überschritten hatten, war schon seit Jahren verwischt gewesen, und nun hatte eine neue Grenze ihre Stelle eingenommen. In diesem Moment waren sie nicht mehr Ärztin und Patientin, auch nicht mehr Arbeitgeberin und Angestellte. Sie waren Freundinnen.
Zee vereinbarte einen Termin mit diesem Therapeuten für die folgende Woche. Es lief so gut man erwarten konnte, in Anbetracht der Tatsache, dass es eine Weile dauern würde, bis er sie genauer kennenlernte. Aber wenigstens redete sie mit jemandem, dachte sie. Nach dem ersten Termin fuhr sie in der Praxis vorbei, um ein paar Dinge mitzunehmen und um ihren Vertretern, die jetzt ihre Patienten betreuten, Unterlagen zu übergeben.
Es war ein Tag zum Aufräumen. Nachdem sie in der Praxis fertig war, fuhr sie zu Michaels Wohnung am Beacon Hill, um ihre restlichen Sachen abzuholen. Sie hatte das auf einen Tag gelegt, an dem er nicht in der Stadt war, damit sie ihm nicht begegnete. Zee wollte das eigentlich vor dem Berufsverkehr erledigt haben, aber sie war erst spät weggekommen. Als sie ihren Schrank leergeräumt hatte und dreimal hinunter zum Volvo gegangen war, war es schon halb sechs.
Danach durchschritt sie noch einmal die Wohnung und sah sich um. Sie war überrascht, wie wenig hier eigentlich ihr gehörte. Da waren ein paar CD s, die sie sich im College gekauft hatte, ein paar Bücher und die Cowboy-Kaffeekanne, die Melville ihr geschenkt hatte. Alles andere gehörte Michael. Als sie hier noch gewohnt hatte, war ihr das nicht weiter aufgefallen, insbesondere, weil sie ja bei ihm eingezogen war. Doch irgendwie fand sie es jetzt doch seltsam, als wäre sie nie etwas anders als ein Besuch gewesen und hätte eigentlich nie vorgehabt zu bleiben.
Zee legte ihren Verlobungsring in Michaels oberste Schublade. Sie hatte eigentlich einen Zettel dazuschreiben wollen, aber ihr fiel nichts ein, was sich nicht falsch anhörte. Sie ging
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