Die Widmung: Roman (German Edition)
fand, das alles sei zu viel für sie. Sie war nicht sie selbst. Und um die Wahrheit zu sagen, er machte sich auch Sorgen um Finch. Hin und wieder redete er noch mit Jessina und zahlte ihren Wochenlohn, obwohl Zee das nicht wollte. Das sei doch das Mindeste, sagte er. Und meinte damit, es sei wenigstens etwas.
Er wollte gerne im Laden vorbeischauen, um mit Mickey darüber zu sprechen. Ihm war bewusst, dass Mickey ihm noch nicht wegen Maureen verziehen hatte, ihm wahrscheinlich niemals verzeihen würde, dass er die Ehe zerstört hatte, aber das zählte jetzt nicht. Jetzt ging es um Finch, und es ging um Zee, und manche Dinge waren einfach wichtiger.
Er ging am Derby Wharf entlang, am Takelschuppen vorbei, und blickte im Vorbeigehen zur Friendship hinauf. Er erinnerte sich noch, wie sie gebaut worden war, er hatte damals sogar Geld gespendet. Er war an dem Tag da gewesen, als der Blitz in den Hauptmast eingeschlagen hatte, und es musste noch mehr Geld aufgetrieben werden, um ihn zu ersetzen. Es war ein beeindruckendes Schiff, aber er konnte nicht daran denken, ohne dass ihm Maureen einfiel und die Geschichte, an der sie zuletzt geschrieben hatte.
Wenn er Mickey sah, war es immer, als würde er Maureen sehen. Sie hatten die gleichen Augen. Doch sobald Mickey den Mund aufmachte, war die Illusion dahin.
»Hallo Melville. Was kann ich für dich tun?«
Das war ein alter Neuengland-Ausdruck, aber die Ironie war unüberhörbar.
»Sehr witzig«, sagte Melville. »Ich will mit dir über deine Nichte sprechen. Ich mache mir Sorgen um sie.«
Mickey hörte ihm zu, ohne ihn mit seinen üblichen sarkastischen Bemerkungen zu unterbrechen. Am Ende versprach er mitzuhelfen. Finch hin und wieder auszuführen, nur um Zee etwas zu entlasten.
»Immerhin wart ihr mal miteinander befreundet«, sagte Melville, um seiner Bitte Nachdruck zu verleihen. Doch sobald er das ausgesprochen hatte, wusste er, dass es ein Fehler war. Mickey hatte bereits zugestimmt.
»Uralte Regel«, sagte Mickey. »Hör auf zu verkaufen, sobald du ein Ja hast.«
»Danke«, sagte Melville. Er ging Richtung Tür.
»Hey.« Mickey rief ihn zurück.
»Was ist?«, fragte Melville.
»Du wirst mir vielleicht nie sympathisch sein«, sagte Mickey. »Aber das heißt nicht, dass ich es nicht zu würdigen weiß, was du für meine Nichte tust.«
32
Heute hatte Ann Spitzenorakel im Angebot. Seit ihre Freundin Towner Whitney ihr vor ein paar Jahren die ganze Spitze ihrer verstorbenen Tante Eva geschenkt hatte, machte sie das immer öfter. Für Ann war die Klöppelspitze so etwas wie für andere Wahrsager eine Kristallkugel: Man schaute hinein, um Bilder zu sehen. Vor dem Mittagessen hatte sie schon zwei Orakel durchgeführt, und nun drehte und wendete und knautschte sie ein Stück antiker schwarzer Spitze, um mehr über ihre Stammkundin zu erfahren, das Mädchen, das so gerne heiraten wollte.
Es lief immer auf dasselbe hinaus: eine schlechte Beziehung, die mit jedem Moment noch schlechter wurde. Ann fand es an der Zeit, dem Mädchen alles zu sagen. Sie suchte nur nach den richtigen Worten, als sich plötzlich in dem Stück Spitze langsam ein Bild zeigte. Es sah aus wie eine Weinranke, und es bewegte sich. Die Weinranke verwandelte sich in Federn, und eine der längeren Federn wurde zu einem Frauenhals. Ann begriff, dass sie einen wunderschönen Schwan betrachtete. Und dann sah sie etwas in der Spitze, was sie noch nie zuvor gesehen, was ihr jedoch ihre Freundin Eva von ihren eigenen Spitzenorakeln erzählt hatte. Der Schwan begann sich zu bewegen und verwandelte sich in einen Mann, den sie als Melville erkannte.
Die hoffnungsvolle Braut sah Ann zweifelnd an, die wie in Trance sehr lange in die Spitze gestarrt hatte. Eine frische Brise vom Meer kühlte den Raum ab und brach den Zauber. Ann wandte sich gerade rechtzeitig zur offenen Tür hin, um noch zu sehen, wie Melville aus Mickeys Laden herauskam und über den Parkplatz in Richtung Stadt ging.
Sie entschuldigte sich, eilte zur Tür und rief ihm nach. Er wandte sich um. Sie sah ihm an, dass er aufgewühlt war. Er winkte ihr, blieb aber nicht stehen.
33
Zee bezahlte Jessina dafür, dass sie bis zum Morgen blieb. Ihr Sohn übernachtete in einem Camp auf Children’s Island, daher hatte sie Zeit.
Mit Hawks Boot fuhren sie zur Clark Landing in Marblehead und gingen zu Fuß hinüber zu Barnacle, wo sie zu Abend essen wollten. Von hier hatte man einen Blick auf Children’s Island, und sie dachte an Jessinas Sohn, der
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