Die Widmung: Roman (German Edition)
antwortete aber nicht.
»Ich würde das wirklich gerne lernen.«
»Hier sind zu viele Lichter«, sagte er. »Man erkennt die Sterne nicht gut genug, um es dir zu zeigen. Außerdem musst du die Messungen bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang vornehmen, wenn der Horizont noch zu sehen ist.«
»Sehr schade.«
»Vielleicht ein andermal«, sagte er. Und das meinte er ernst.
Sie blieben noch eine Weile sitzen. »Was willst du jetzt tun?«, fragte sie. »Ich habe Jessina für die ganze Nacht engagiert.«
Er dachte nach. »Ich habe eine Wohnung nicht weit von hier«, sagte er. »Allerdings ist das eher eine Abstellkammer.«
Sie musste erst morgens wieder zurück sein, deshalb wäre es am einfachsten, zu ihm zu gehen. Aber sie wollte ihm mehr anbieten, etwas von ihr selbst, das sie nicht in Worten ausdrücken konnte, deshalb machte sie einen Gegenvorschlag: »Ich hätte vielleicht etwas Besseres.«
»Wo?«, fragte er.
»Einen Ort, wo es dunkel genug ist, um die Sterne zu sehen.«
»Dann los«, sagte er.
Er überließ ihr das Ruder. Automatisch prüfte sie den Benzinstand, dann lachte sie über sich. Sie hatte keine solchen Boote mehr gesteuert, seit sie als Kind welche gestohlen hatte. Es hatte etwas Befreiendes.
Langsam manövrierte sie das Boot durch die vielen Liegeplätze im Hafen von Marblehead, und als sie die rote Boje und das Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung von fünf Meilen pro Stunde passiert hatten, gab sie Gas und fuhr in Richtung Baker’s Island.
34
Jessina beschloss, Finch Kekse zu backen. Es war heiß, und sie hatte die Küchenfenster geöffnet, um die leichte Brise hereinzulassen, die von der Küste her wehte. Sie durchsuchte den Küchenschrank mit den Backutensilien und holte den roten und den grünen Zucker heraus, Farben, die eher zu Weihnachten als zum Juli passten. Der Vierte Juli war zwar bereits vorbei, aber sie hatte auf Rot, Weiß und Blau gehofft. Trotzdem machte sie mit den vorhandenen Farben Sterne und streute Puderzucker auf das Rot und das Grün.
Finch liebte ihre Kekse. Sie backte sie so weich, dass er sie gut kauen konnte. Jeden Nachmittag aß er zwei davon, mit einem großen Glas Milch dazu, nicht die fettarme, die Zee immer von Peapod bestellte, sondern die altmodische Vollmilch, die Jessina von einem der colmados an der Lafayette Street mitbrachte. Finch musste zunehmen – er verkümmerte regelrecht.
Als der Pirat mit dem Dreispitz und der Augenklappe vor dem Fenster auftauchte, dachte Jessina, sie hätte Halluzinationen. Doch dann erkannte sie Mickey an der Stimme. Sie hatte ihn schon in Werbespots im Lokalradio gehört und auf Salem Access TV gesehen, wie er seine Souvenirläden anpries. Viele der Jugendlichen aus The Point halfen den Sommer über bei Mickey aus, was ihn zumindest in dieser Hinsicht zu einem Wohltäter machte. Meistens nahm er Studenten vom Salem State College, aber er gab auch den dominikanischen Highschool-Kids eine Chance. Sie hoffte, Danny würde nächstes Jahr, wenn er zu alt für die Tagesferien war, vielleicht einen Job bei Mickey bekommen.
Mickey fragte zuerst nach Zee, und als er von Jessina hörte, dass sie nicht da war, bat er widerstrebend darum, Finch sehen zu dürfen.
Jessina begleitete ihn durch den Gang zu Finch, der in seinem neuen Fernsehsessel eine Seifenoper schaute. Finch blickte überrascht auf, als er den Piraten sah, der in dem kleinen Raum riesig wirkte. Sein Hut endete nur wenige Zentimeter unter dem Deckenbalken.
»Hallo Finch«, begrüßte ihn Mickey.
Finch blickte zu Mickey und dann zu Jessina. Er hatte sichtlich keine Ahnung, wer Mickey war. Er schien auf eine Erklärung oder eine Pointe zu warten.
»Wie geht es dir?«, fragte Mickey.
Finch schien die Frage zu überraschen. »Gut, danke«, sagte er. »Und selbst?«
»Ganz prächtig für einen alten Mann«, sagte Mickey.
»Einen alten Piraten, wohlgemerkt«, sagte Finch.
»Auch das«, gab Mickey zurück.
Jessina bemerkte Finchs offensichtliche Verwirrung und wollte es Mickey leichter machen, und so wandte sie sich an Finch: »Vielleicht sollten wir Mr. Doherty einen von unseren Keksen anbieten.«
Finch schien diese Idee zu verblüffen.
»Möchten Sie einen Keks, Mr. Doherty?«, fragte Jessina.
»Nein, vielen Dank, nein«, sagte Mickey.
»Ich bin müde«, sagte Finch zu Jessina.
»Ja, Papi. Ich weiß, dass Sie müde sind, aber Mr. Doherty ist hier, um Sie zu besuchen.«
»Schon gut«, meinte Mickey. »Ich wollte nur kurz vorbeischauen.« Er war durch die
Weitere Kostenlose Bücher