Die Widmung: Roman (German Edition)
Wohnung. Er wusste immer noch nicht genau, wie sie eingebrochen war. Er lebte auf seinem Boot, und die Wohnung stand leer. Eines Nachmittags war er nach Hause gekommen und hatte sie dort vorgefunden. Sie trug eines seiner T-Shirts und hatte nasse Haare, als käme sie gerade aus der Dusche. Es sah so aus, als sei sie schon seit einer Weile da.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich verlasse William. Ich will mit dir zusammenleben.«
Hawk war überrascht. Er wusste schon seit geraumer Zeit, dass sie offenbar ihre Gefühle für Roy nun auf ihn übertragen hatte, aber das wollte er nicht. Natürlich empfand er auch etwas für sie. Hawk hatte sich schon immer zu Frauen hingezogen gefühlt, die in Schwierigkeiten steckten, besonders wenn sie so schön waren wie Lilly. Aber eine Familie wollte er nicht zerstören. Damit hatte er in seiner Kindheit selbst zu viel Erfahrung gemacht. Und mittlerweile wurde ihm auch langsam bewusst, was alles bei ihr verkehrt lief. Danach war er zufrieden, wenn sie anrief und ihm erzählte, dass sie wieder zu ihrer Therapeutin ging, und sie rief oft an. Zu oft, denn die Männer auf der Friendship machten sich schon lustig über ihn wegen all der Anrufe und SMS , die er von ihr bekam.
»Es tut mir leid, wenn ich einen falschen Eindruck hinterlassen habe«, hatte er gesagt. »Das wollte ich nie.«
»Ich habe Angst«, erklärte sie ihm.
»Geh nach Hause zu deinem Mann«, sagte Hawk. »Erzähl ihm, was zwischen dir und Roy passiert ist. Dann geh zur Polizei.«
»Das kann ich nicht«, sagte sie.
Am letzten Tag, als sie anrief, als sie ihm sagte, sie würde springen, da fuhr er ihr nach. Er versuchte es ihr auszureden, sie dazu zu bringen, sich irgendwo mit ihm zu treffen, aber sie war schon unterwegs zur Brücke. Er hatte es geschafft, sie zum Anhalten zu überreden, auf dem McDonald’s Parkplatz am Lynnway. Sie sollte dort auf ihn warten, er würde bald da sein. Unter Tränen erklärte sie sich bereit. Doch dann bekam sie Angst. Konnte nicht mehr warten. Jemand sei hinter ihr her, sagte sie. Niemand konnte etwas tun.
Er fuhr sehr schnell. Er hätte die Polizei gerufen, aber er wollte das Gespräch mit ihr nicht unterbrechen.
Als sie sprach, war er nur sechs Autos hinter ihr.
»Ich sehe dich«, sagte er. »Fahr rechts ran, und ich hol dich.«
Sie fuhr wirklich rechts ran, aber sie drehte sich nicht um. Während sie über die Seite kletterte, telefonierte er immer noch mit ihr. Das Telefon fiel ihr aus den Händen, als sie sprang. Alles geschah wahnsinnig schnell.
Jeden Tag fragte er sich, was er hätte anders machen können. Immer wieder ging er es in Gedanken durch. Es machte ihm so sehr zu schaffen, dass er sogar erwogen hatte, eine Therapie anzufangen, um darüber zu sprechen. Doch dann hatte er Zee kennengelernt, und alles sah anders aus. Die Tatsache, dass sie sich genauso schuldig an Lillys Tod fühlte wie er, hatte ihm wirklich geholfen. Er fühlte sich etwas besser. Sie hatte ihm natürlich nicht erzählt, wie es ihr ging – dafür war sie viel zu professionell. Aber er wusste es.
Hawk erzählte Zee die ganze Geschichte. Am Ende erzählte sie ihm, was sie der Polizei von Marblehead gesagt hatte.
Hawk gefror das Blut in den Adern. Er rührte sich nicht. Lilly hatte Schwierigkeiten gehabt, das hatte er immer gewusst. Doch ihr Sprung über das Geländer wurde für ihn nun auf eine Weise logisch wie nie zuvor. Roy war ein gefährlicher Mensch, ein Mensch, der leicht gewalttätig wurde, und der gefährlichste Moment für ein Opfer war es, wenn das Opfer versuchte, sich von seinem Peiniger zu trennen. Über dieses Thema hatte er erst letzte Woche in der Salemer Zeitung etwas gelesen, es war ein Artikel, den die örtliche Beratungsstelle geschrieben hatte, vielleicht war es auch May Whitney gewesen, die Frau auf Yellow Dog Island. Er wusste es nicht mehr.
Hawk saß ganz still da. Er sah Zee so unverwandt an, dass sie nicht wegschauen konnte. Er berührte sie nicht, er sagte nur möglichst ruhig: »Ich habe nie mit Lilly Braedon geschlafen … Und ganz bestimmt habe ich sie nie bedroht. Ich habe dasselbe versucht wie du. Ich habe versucht, sie zu retten.«
Er ist nicht der, für den du ihn hältst. Die Worte von Ann Chase fielen Zee sofort wieder ein.
Den Rest des Weges nach Salem legten sie schweigend zurück. Hawk parkte Zees Volvo in Finchs Zufahrt und machte den Motor aus. Er wandte sich zu ihr. »Ich will, dass du mir glaubst.«
Lange sagte keiner von beiden etwas.
»Ich
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