Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
Vom Netzwerk:
Maureen: Sie war rückwärts gekrümmt, das Rückgrat war nach hinten durchgebogen, bis der Kopf beinahe den Boden berührte. Die Arme hatte sie parallel zum Boden gerade ausgestreckt, als würde sie eine schwierige gymnastische Übung vorführen. Er blieb in der Tür stehen und sah zu, wie seine Frau zusammenbrach. Der Anblick war so bizarr und beängstigend, dass Zee unwillkürlich an Dämonen und sogar an die Hexenprozesse von Salem im Jahr 1692 dachte.
    Zee stand hilflos daneben und betete inständig, dass der Rettungswagen, den sie gerufen hatte, noch rechtzeitig käme. Sie wagte es nicht, ihre Mutter zu berühren. Kurz zuvor hatte ihre Berührung bei ihrer Mutter den dritten Krampfanfall ausgelöst – dessen war sie sich sicher. Zee und Finch hielten Abstand und sahen Maureen entsetzt und ohnmächtig beim Sterben zu.
    Paradoxerweise war es die Sirene des herannahenden Rettungswagens, die Maureens letzten Anfall auslöste.
    Während der nächsten zwei Jahre, bis zu dem Tag, an dem Melville endgültig zurückkehrte, widmete sich Finch der Selbstbetäubung und überließ es Zee, Boote zu stehlen und sich ansonsten alleine durchzuschlagen.
    Sie sprachen nicht über Maureens Tod, zumindest nicht direkt. Fast ein Jahr später wandte sich Finch eines Abends an Zee und zitierte wieder Hawthorne, diesmal mit den Worten: »Dieser Abgrund war ja nur eine von den Türen der höllischen Finsternis, die allenthalben unter unseren Füßen liegt. Selbst der festeste Boden menschlichen Glücks ist weiter nichts als eine dünne Schicht, die sich darüberbreitet und gerade so viel Realität besitzt, um die trügerische Kulissenwelt zu tragen, zwischen der wir uns bewegen. Es ist durchaus kein Erdbeben nötig, um den Abgrund aufzureißen.«
    Finch war völlig verstört. So seltsam das Familienleben mit Maureen auch gewesen sein mochte, jetzt existierte es gar nicht mehr. Als Melville dann zurückkam und bei ihnen einzog, brachte er einen gewissen Frieden, den Zee zuvor nicht gekannt hatte. Finch hörte auf, seine gesamte Freizeit mit Mickey und den Piraten zu verbringen. Und er reduzierte das Trinken auf ein Maß, das für einen Küstenort in Neuengland ganz respektabel war – also mehr als gemäßigt, aber nicht zu extrem. Er sang nicht mehr, doch Zee merkte ihm an, dass er wirklich glücklich war.
    In Zees erstem Highschool-Jahr kam sie eines Tages nach Hause und verkündete: »Meine Freundin Sarah Anne sagt, bei uns zu Hause geht es nicht normal zu.«
    Finch dachte lange darüber nach, bevor er antwortete. Statt Hawthorne zitierte er diesmal Herman Melville: »Sie ist auf keiner Karte verzeichnet; die wahren Orte sind das nie.«
    Zee erkannte das Zitat sofort. Finch zitierte zwar normalerweise Hawthorne, aber er hatte seiner Tochter auch alle anderen amerikanischen Romantiker nahegebracht. Moby Dick war ihr absolutes Lieblingsbuch.
    Zee musste zugeben, dass es in dem alten Haus an der Turner Street zum ersten Mal, seit sie sich erinnern konnte, eine Art Familie gab. Und auch wenn der Außenwelt die Lage der Dinge merkwürdig vorkam, so war es doch viel normaler als alles, was Zee in ihrem jungen Leben bislang erfahren hatte.
    Finch für seinen Teil schien es sichtlich zu genießen, die Leute mit seinem neuen Status zu schockieren, was jedoch Mickey ziemlich gegen ihn aufbrachte. Finch steigerte das noch, indem er seinen Partner Leuten vorstellte, die er schon sein ganzes Leben kannte, und ihnen erzählte, Melville sei nicht nur sein Lebensgefährte, sondern auch ein Ökoterrorist. Eigentlich war Melville Journalist. Bevor er Finch kennengelernt hatte, hatte Melville über eine Splittergruppe von Greenpeace recherchiert, die vor der Küste Islands versuchte, den Fang von Zwergwalen zu verhindern. Der Spitzname, den Finch ihm gab, blieb ihm. Jeder in der Stadt nannte ihn jetzt Melville.
    Er war kein schlechter Kerl. In mancher Hinsicht war Melville umgänglicher als Finch. Ernsthaft zu beanstanden hatten sie nur, dass sich Finch immer von Melville den Rücken freihalten ließ. Melville kümmerte sich um alles, was Finch im Leben schwierig fand, und das war eine Menge. Und Finch mochte zwar ganz Salem seine Beziehung zu Melville strahlend verkündet haben, mit seiner Tochter hatte er jedoch noch nie richtig darüber gesprochen. Es war schließlich Melville gewesen, der ihr erklärte, welche Art von Liebe er und Finch füreinander empfanden. Allerdings hatte sie sich das meiste schon selbst gedacht, als er es endlich schaffte,

Weitere Kostenlose Bücher