Die Widmung: Roman (German Edition)
Wasser übertrug sich der Schall gut.
»Als wir uns kennengelernt haben, dachte ich, du wärst hetero«, sagte Finch eines Nachts zu ihm.
»Nein, das dachtest du nicht.« Melville hatte ihn ertappt.
»Dann eben bi. Ich dachte, du wärst bi.«
»War ich auch«, sagte Melville. Das war keine Lüge. Früher hatte er sich eine Weile für bisexuell gehalten, aber das lag schon sehr lange zurück. »Und darf ich vielleicht auf die Tatsache hinweisen, dass du derjenige bist, der verheiratet ist.«
An der Tragweite dessen hatten beide plötzlich zu schlucken.
»Ich bin ein ganzes Stück älter als du«, sagte Finch, »und ich komme aus einer völlig anderen Generation.« Bedauern spiegelte sich in seiner Miene. Dann Schuld. Keiner von ihnen brachte das Thema noch einmal zur Sprache.
Samstags fuhren Finch und Zee immer ins Krankenhaus. Samstagabend kochte Melville für sie, und sie aßen gemeinsam am Küchentisch. Zee war nach den Besuchen bei ihrer Mutter häufig schweigsamer als sonst. Sonntags nahm Melville Zee manchmal mit zum Hafen, wo sie Felsenbarsche angelten, die sie dann ausnahmen und auf den Grill legten. Gelegentlich half sie ihm auch bei der Arbeit auf seinem Boot.
Melville mochte Zee. Sie war ein braves Kind, auch wenn sie irgendwie gestresst wirkte und sich Sorgen um ihre Mutter machte. Manchmal sprach sie darüber und erzählte, dass sie nicht verstand, wie ihre Mutter so unglücklich sein konnte. Und manchmal redete sie auch über die andere Seite der Krankheit, erzählte ihm von manchen der unerhörten und amüsanten Sachen, die ihre Mutter anstellte. Er merkte, dass ihr das Angst einjagte. Er merkte auch, dass Zee jahrelang auf ihre Mutter aufgepasst und versucht hatte, alles zu tun, damit sie nicht ins Krankenhaus musste, wenn die unvermeidlichen Depressionen einsetzten. Zee hatte nicht viele Freundinnen, nur ein, zwei aus der Schule. Sie hatte wenig Zeit gehabt, Kind zu sein.
Obwohl er wegen seiner Gefühle Gewissensbisse hatte, war Melville noch nie so glücklich gewesen. Die ganze Situation, die ja schlimmer für Zee als für Finch war, bedauerte er natürlich. Aber im Geiste malte er sich doch aus, was alles möglich war: dass Finchs Frau für immer im Krankenhaus blieb, wie Finch vorhergesagt hatte, dass sie als Familie zusammenleben konnten, dass es unendlich so weitergehen konnte. Und er hatte ein schlechtes Gewissen, weil ihn diese Vorstellung glücklich machte.
Und dann wurde Maureen Finch an einem Samstag im August entlassen. Für Melville kam das überraschend, doch er fand später heraus, dass Finch kurz vorher davon erfahren hatte, aber nicht gewusst hatte, wie er es ihm beibringen sollte. Stattdessen hatte er Melville nur gesagt, er solle an diesem Abend nicht kochen, denn möglicherweise würden sie erst spät zurückkehren und dann wahrscheinlich irgendwo unterwegs etwas essen.
Das war das erste Mal, dass Melville Finch etwas zum Vorwurf gemacht hatte, und es war ein Schock. Als sie in der Zufahrt hielten und er zusah, wie Zee ihrer Mutter aus dem Auto half, bekam er den zweiten Schock. Maureen Finch blickte zu ihm auf. Ihre Blicke trafen sich, und sie starrten einander lange an.
Zee wandte sich um, um zu sehen, wohin ihre Mutter dort schaute, und entdeckte Melville. Sie wollte etwas zu ihm sagen, aber etwas im Blick ihrer Mutter hielt sie davon ab.
Finch schaute schuldbewusst drein. Er half Maureen ins Haus.
Als Melville nach Hause in sein Zimmer kam, klingelte das Telefon unablässig. Er wusste, dass es Finch war. Aber er nahm nicht ab. Stattdessen packte er seine Sachen und verschwand zum zweiten Mal in seinem Leben, erst nach Kalifornien, dann zu den Aleuten, wo er die nächsten zwei Jahre verbrachte.
Es sprotzelte, als der Kaffee überkochte, und Melville war in Gedanken wieder in der Gegenwart. Er sprang auf, griff die Kanne am Henkel und nahm sie vom Kochfeld weg.
»Da bin ich ja froh, dass dir das auch passiert«, meinte Zee. »Michael denkt, ich bin die Einzige.«
Er goss einen Becher kaltes Wasser in die Kanne.
»Wie geht es Michael?«, fragte er. »Oh Gott, hoffentlich bringt das die Hochzeitspläne nicht durcheinander.«
»Das schaffe ich offenbar auch ganz alleine«, sagte sie.
Er sah sie an und wählte seine Worte sorgfältig. »Ich dachte, Michael ist derjenige, der alle Pläne macht.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich weiß nicht. Mir kam es nur einfach immer so vor, als wäre die ganze Sache seine Idee.«
»Die Heirat?«, fragte sie.
»Alles,
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