Die Widmung: Roman (German Edition)
bereitmachte, hinaus aufs Meer zu fahren. Und sie kam an einem der kleineren Fischerboote vorbei, das gerade in den Hafen einfuhr. Beide sah sie nicht an, sondern hielt den Blick geradeaus nach vorn gerichtet, stets auf die Insel, wo ihre wahre Liebe wartete …
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Maureens Manuskript von »Einmal« wurde nie fertiggestellt. Sie schrieb zwar zig Entwürfe mit unterschiedlichen Schlüssen, doch war es ihr nie gelungen, das Märchen wirklich zu Ende zu schreiben. Maureen hatte die Legende rekonstruiert, soweit es die historische Dokumentation erlaubte, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie danach weiter verfahren sollte.
Sicher wusste sie jedenfalls, dass der Chefaufseher des Derby Wharf das vermisste Dory bei den Behörden von Salem gemeldet hatte. Es wurde Tage später gefunden und von einem Schiff zurückgebracht, das in den Hafen einlief, nachdem es kranke Seeleute auf den Misery Islands abgesetzt hatte. Die Ruderdollen waren abgenutzt und vom langen Rudern unbrauchbar geworden. Weder von Zylphia Browne noch von ihrem jungen Liebhaber ward je wieder etwas gesehen.
Maureens eigener Glaube an »Die große Liebe« würde ein glückliches Ende verlangen, doch das schien sie für das Märchen, das sie schrieb, nicht zu finden. Der Grund dafür war einfach. Auf halbem Weg hatte Maureen beschlossen, das tragische Liebespaar könnte einzig und allein an Bord der Friendship geflohen sein – nicht des Nachbaus, der heutzutage am Derby Wharf lag und vor dem die Touristen Schlange standen, sondern des Schiffs, das Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem Hafen von Salem ausgelaufen war.
Maureen hatte ernsthaft recherchiert und herausgefunden, dass der junge Seemann aus ihrer Geschichte ursprünglich zur Besatzung der Friendship gehört hatte. Doch das Problem lag darin, dass die Friendship auf ebendieser Fahrt, auf der sie die Liebenden zu einem guten Ende hätte bringen können, von den Briten im Britisch-Amerikanischen Krieg festgesetzt wurde. Über die junge Frau existierten gewiss keine Aufzeichnungen. Sie hätte wahrscheinlich versucht, sich als Mann zu verkleiden, oder auch als Schiffsjunge, um diese Reise mit einer männlichen Besatzung gefahrlos zu überstehen. Eine Frau an Bord zu haben, die nicht die Gattin des Kapitäns war, galt für eine Schiffsfahrt nicht nur als böses Omen, für die Frau war es auch gefährlich. Doch Maureen fand in den Büchern der Friendship weder den jungen Mann erwähnt, der zuvor auf dem Schiff angeheuert hatte, noch waren überhaupt irgendwelche neuen Namen verzeichnet, sollte er unter einer anderen Identität mitgefahren sein.
Dass die junge Frau, Zylphia Browne, vor ihrem Zuhause und ihrem gewalttätigen Mann die Flucht ergriffen hatte, war offiziell dokumentiert. Ob sie ihren Mann vergiftet hatte oder nicht, war Spekulation. Der für seine Brutalität bekannte Kapitän hatte viele Feinde. Es war festgehalten, dass er mit einer Substanz vergiftet worden war, die er sehr wahrscheinlich selbst mit dem Schiff hertransportiert hatte, und dass sein Tod ebenso schmerzhaft war wie die Schläge, die er nicht nur seiner Besatzung, sondern auch seinen Dienstboten und seiner Frau hatte zuteilwerden lassen.
Sogar Maureen musste zugeben, dass es kaum echte Beweise für Zylphia Brownes Entkommen gab. Es gab die Aufzeichnungen eines Augenzeugen, der jemanden mit dem gestohlenen Dory in Richtung der Misery Islands hatte rudern sehen. Der Zeuge kam nur wegen der roten Haare, die unter dem Rand einer Jungenmütze hervorschauten, darauf, es habe sich um Zylphia gehandelt. Das Dory wurde später auf den Misery Islands gefunden, die Dollen waren bis auf das bloße Holz abgenutzt. Doch von den jungen Liebenden fehlte jede Spur.
Maureen stellte nie in Frage, dass das Liebespaar geflohen war. Ihr Glaube an »Die große Liebe« ließ nichts anderes zu. Doch sosehr sie sich auch bemühte, sie fand nie das glückliche Ende, das sie dringend brauchte, um die Geschichte fertigzustellen. Obwohl die meisten ihrer Geschichten fiktional waren und sie ursprünglich vorgehabt hatte, ein gutes Ende zu schreiben, war sie nun besessen von der Suche nach der Wahrheit. Während sie die Geschichte schrieb, hatte sie eine starke Bindung zu Zylphia Browne entwickelt. Sie kenne diese Frau gut, behauptete sie, und sie habe beinahe das Gefühl, in Zylphias Haut geschlüpft zu sein.
Zee wusste seit geraumer Zeit, dass ihre Mutter die Geschichte immer mehr für ihre eigene hielt. Als Maureen dann eines Tages verkündete, sie sei
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