Die Widmung: Roman (German Edition)
würden sie abwarten, wie es lief. Falls Finchs Wut auf die Medikamente zurückzuführen war, hätte er das Ganze mittlerweile vielleicht vergessen. Melville würde wieder einziehen und Finch bis zum Ende pflegen. Und wenn es einen anderen Grund gab, wenn die Krankheit ein neues Stadium erreicht hatte, dann würden sie beratschlagen, was als Nächstes zu unternehmen sei.
Es war ein komisches Gefühl, an der Tür zu klopfen. Er konnte sich nicht erinnern, das jemals schon getan zu haben. Als er Finch kennengelernt hatte, damals als Maureen im Krankenhaus lag, da war er fast nie zu ihm nach Hause gekommen. Er und Finch hatten sich immer woanders getroffen, meistens irgendwo in der Stadt. Und später, nachdem er sein Boot hierhergebracht hatte, weil er dachte, Maureen würde nicht mehr nach Hause kommen, ließ Finch die Tür für ihn unversperrt. Spätnachts hatte er sich immer so leise wie möglich hineingeschlichen, um Zee nicht zu wecken. In den ersten Jahren waren sie sehr vorsichtig gewesen.
Zee öffnete die Tür. »Er schläft in seinem Sessel«, sagte sie. Melville sah auf die Uhr. »Viertel nach drei.« Um vier musste Finch seine Tablette nehmen. Er hätte das besser timen sollen.
Sie bündelte Zeitungen im Gang, die Hände schwarz verfärbt und um den Kopf ein altes Stirnband aus Finchs Piratenzeit.
»Das wollte ich schon lange machen«, sagte er und dachte daran, wie Finch es ihm jedes Mal ausgeredet hatte, sobald Melville angefangen hatte, die Zeitungen wegzuwerfen. Finch hatte behauptet, er wolle sie alle noch lesen, obwohl er gar nicht mehr lesen konnte, seit einer ganzen Weile nicht mehr.
Finch tendierte von Natur aus ein wenig dazu, Dinge zu sammeln. Sein Respekt vor dem geschriebenen Wort war so groß, dass er sich einfach von nichts Gedrucktem trennen konnte. Selbst die Werbebeilagen aus den Wochenendzeitungen mussten mindestens einen Monat lang aufbewahrt werden. Melville schmuggelte sie manchmal aus dem Haus und entsorgte sie erst ein Stück weiter die Straße hinunter, damit Finch, wenn er feststellte, dass sie fehlten, nicht den Abfall durchwühlen und sie wieder ins Haus bringen würde.
»Weiß dein Vater, dass du das machst?«, fragte Melville.
»Er weiß es«, sagte sie. »Es gefällt ihm nicht, aber er weiß es.«
Melville half ihr, die Altpapiertüten zum Gehsteig zu tragen. Sie hatten Glück – morgen wurden sie abgeholt, und Finch würde sie in seinem derzeitigen Zustand kaum zurückfordern.
Sie setzten sich in der Küche, unterhielten sich und warteten darauf, dass Finch aufwachte. Zee erwähnte das Yeats-Buch nicht, genauso wenig wie Melville, obwohl er es wollte. Er fand, dass das Buch eigentlich ihr zustand. Doch er hatte vor Jahren Finch gegenüber ein Versprechen abgelegt, und Melville hielt seine Versprechen immer.
Zee sah auf die Uhr. Es war kurz vor vier. »Gleich muss er die nächste Tablette nehmen«, sagte sie. »Er sollte gleich aufwachen.«
Wie auf ein Stichwort hörten sie Finchs Gehhilfe.
»Hast du ihn dazu gebracht, den Rollator zu benutzen?«
»Ja«, sagte sie.
»Ich bin beeindruckt.«
Keiner von beiden sagte etwas, während sie darauf warteten, dass Finch den langen Gang bewältigte.
Melville versuchte, seinen Herzschlag zu beruhigen. Er konnte einfach nicht sitzen bleiben.
»Ich habe einen Schreiner beauftragt, im Gang einen Handlauf anzubringen.« Sie spürte, wie nervös er war, und wollte ihn beruhigen.
»Gute Idee.«
Er atmete tief ein und hielt die Luft an. Er starrte auf den Boden. Als der Rollator an der Küchentür Halt machte, blickte Melville zu Finch auf.
Ihre Blicke trafen sich.
»Hallo, Finch«, sagte Melville.
Finch stand stocksteif da, sein Gesichtsausdruck war eine unlesbare Maske.
»Ich hab dir Tatar mitgebracht«, sagte Melville. »Es liegt im Kühlschrank.«
Finch ließ sich auf den Stuhl sinken. Die letzten Zentimeter fiel er nach unten und zuckte zusammen. Als er schließlich sprach, richtete er sich nicht an Melville, sondern an Zee.
»Raus mit ihm«, sagte er leise. Es war gleich Zeit für die nächste Tablette, deshalb hatte er kaum mehr Stimme. Es war ein Krächzen, als würde es ihm die Kehle zerreißen. Aber seine Worte waren unmissverständlich.
18
Zee nahm das Telefon mit ins Fernsehzimmer. Sie hatte die letzte halbe Stunde mit Melville telefoniert und sich bemüht, ihn zu beruhigen. Als sie auflegte, hatte Jessina Finch schon ins Bett gebracht und Zee eine Nachricht hinterlassen.
»Schlaf ein bisschen«, hatte sie
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