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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
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Melville geraten, nachdem sie sich zum dritten Mal im Kreis gedreht hatten. »Morgen überlegen wir, wie es weitergeht.«
    Der Fernseher lief noch, aber ohne Ton. Zee setzte sich aufs Sofa, drückte auf die Fernbedienung und stieß auf Turner Classic Movies: Jane Eyre mit Joan Fontaine und Orson Welles. Sie drehte den Ton nicht auf, sondern betrachtete einfach nur den Monitor. »Wer ist Grace Poole?«, sagte sie an den Fernseher gerichtet. Das war ein Spiel, das sie einmal erfunden hatten, sie und Melville und Finch, eine Art Jeopardy! für Literaten. Finch hatte es auch in seinen Literaturseminaren ausprobiert. Wer ist Grace Poole? , lautete die Antwort. Die Frage hatte sie selbst geschrieben: Sie betreut Rochesters wahnsinnige Mutter auf dem Dachboden. Es war nicht seine Mutter. Natürlich nicht. Es war seine Frau. Darum drehte sich das ganze Buch. Irgendwie wusste sie das natürlich, aber was erst ein Freudscher Versprecher war, hatte sie in ihrer Erinnerung als Wahrheit gespeichert. Das wurde ihr erst jetzt klar. Die Frage sollte lauten: Sie betreut Rochesters wahnsinnige Frau auf dem Dachboden. Zee hatte im Geiste die Figur aus dem Buch durch Maureen ersetzt. Wie oft hatte sie diese Frage gestellt? Finch und Melville hatten normalerweise falsche Fragen und Antworten immer bemängelt und den Fehler sicher bemerkt, aber bei dieser hatten sie Zee nie widersprochen.
    Zee schlief zum Tuten von Nebelhörnern ein. Sie träumte von den Sternen und von der Friendship , nicht von der Reproduktion, die heute am Pier lag, sondern von dem alten Schiff, über das Maureen zu schreiben versucht hatte. Dann träumte sie von Berninis Skulptur von Neptun und Triton, wie Maureen sie ihr früher einmal beschrieben hatte. Oder vielleicht war es auch Lilly gewesen … Nein, doch Maureen.

19
    An dem Tag, an dem Maureen sich das Leben nahm, hatte sich Zee das Dory von Mickey ausgeliehen und war nach Baker’s Island gefahren, um das Yeats-Buch zu holen, mit dem sie ihre Mutter aufmuntern wollte.
    Maureen schien an diesem Tag besserer Stimmung zu sein. Zumindest war sie freundlicher zu Zee, die sie seit dem Besuch bei der Wahrsagerin mit Missachtung gestraft hatte. Die letzten Monate hatten Zee an das Märchen von Schneewittchen erinnert, nicht nur wegen Arcana, die sie sich mit einem vergifteten Apfel in der ausgestreckten Hand vorstellte, sondern weil ihre Mutter, die Zee einst so sehr geliebt hatte, seit der Verkündigung der Wahrsagerin ganz kalt geworden war, als würde Zee sie allein durch ihre Existenz davon abhalten, ein Ende für ihr Märchen zu finden.
    So verhielt es sich den Rest des Sommers über zwischen ihnen. Maureen hörte auf, an »Einmal« zu schreiben – sie hörte sogar ganz zu schreiben auf. Meistens starrte sie einfach nur aufs Wasser hinaus oder saß oben in ihrem Zimmer. Sie aß kaum und schlief, wenn überhaupt, nur selten.
    Daher fasste Zee auf dem Weg zur Insel, wo sie das Buch holen wollte, neuen Mut. Die Stimmung ihrer Mutter schien sich etwas aufgehellt zu haben. Zee hatte sie zwar nicht überreden können mitzukommen, aber Maureen wirkte beinahe interessiert, als Zee ihr von ihrem Vorhaben erzählte.
    »Du hast das Buch immer sehr geliebt«, sagte Zee hoffnungsvoll.
    »Danke, dass du das machst.« Maureen stand sogar aus dem Bett auf und ging hinunter in die Küche, um Zee zu verabschieden.
    »Ich hab dich lieb«, sagte Maureen zu ihr.
    Es war seltsam, dass sie das sagte, weil sie seit der Episode mit der Hellseherin kein besonders gutes Verhältnis zueinander gehabt hatten. Aber Maureen sagte es lächelnd, was Zee damals wieder als ein positives Zeichen deutete.
    Im Rückblick wusste Zee, dass ein solches Verhalten bei Selbstmorden relativ typisch war. Das Opfer fühlte sich oft viel besser, wenn die Entscheidung, allem ein Ende zu setzen, endgültig gefallen war. Umso schockierter waren häufig die Familienmitglieder nach dem Selbstmord. »Wir dachten, es geht ihr viel besser«, erklärten sie dann.
    Lilly war zwar Zees erster Selbstmordfall, seit sie Psychologin geworden war, aber sie hatte Geschichten von anderen Therapeuten, auch von Mattei, gehört. Eine deutliche und schnell einsetzende Besserung bei einer Depression kann Grund zur Beunruhigung sein. Bei Patienten mit einer bipolaren Störung ist das häufig ein Zeichen für eine bevorstehende manische Phase. Bei selbstmordgefährdeten Patienten bedeutet es oft, dass sie die endgültige Entscheidung getroffen haben und nun eine beinahe

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