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Die Widmung: Roman (German Edition)

Die Widmung: Roman (German Edition)

Titel: Die Widmung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brunonia Barry
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flapsigen Bemerkung über Maureen begonnen. Ehe er sich’s versah, gerieten sie sich über alles in die Haare, von dem tropfenden Wasserhahn in der Küche bis zu den Zeitungsstapeln im Gang.
    Das Thema Maureen war in letzter Zeit häufig aufgekommen. Und wie immer, wenn Finch nicht wusste, wie er etwas ausdrücken sollte, hatte er Hawthorne zitiert: »Die Keuschheit einer Frau besteht aus mehreren Schichten, wie eine Zwiebel.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Es heißt, was es heißt.«
    »Wenn du etwas zu sagen hast, dann sage es mir bitte direkt«, antwortete Melville. Er sprach nicht gerne über Maureen. Seine Schuldgefühle in dieser Sache hätten sie beinahe schon ihre Beziehung gekostet. Er legte Finch eine Hand auf die Schulter. »Erzähl mir, was das bedeuten soll.«
    »Ich weiß es nicht«, hatte Finch gesagt, der plötzlich gemerkt hatte, wie verwirrt er war.
    Melville beugte sich vor und nahm Finchs Gesicht zwischen die Hände: »›Diese Beziehung muss gelingen, nicht trotz allem, was mit Maureen geschehen ist, sondern deswegen.‹« Er sah Finch an. »Das sind deine Worte«, sagte Melville.
    »Ich weiß.« Finch weinte.
    »Du weißt, wie sehr ich dich liebe«, sagte Melville.
    »Vielleicht solltest du mich immer wieder daran erinnern«, meinte Finch.
    Er verlor Finch an diese verdammte Krankheit. Er sah dieser Tatsache selten ins Auge, aber so war es nun einmal. Er wusste, der Tod näherte sich unausweichlich, aber sie waren so viele Jahre lang zusammen gewesen, glücklich zusammen gewesen. Sogar nach dem Beginn der Parkinson-Erkrankung waren sie glücklich gewesen. Er wusste, dass ihm die Krankheit Finch letztlich wegnehmen würde. Er hatte unwillkürlich weggeschaut, als das Zittern einsetzte, er hatte es nicht sehen wollen. Glücklicherweise litt Finch nicht sehr unter dem Tremor, aber es gab viele andere Symptome der Krankheit, die ihren Tribut verlangten. Manchmal musste er aus dem Zimmer gehen, damit Finch ihn nicht weinen sah.
    Er hatte alle Bücher gelesen, wusste, dass die Zeit kommen würde, wo die Grenze überschritten wurde. Ehrlicherweise müsste er zugeben, dass es bereits geschehen war. Wenn Parkinson-Patienten lange genug mit der Krankheit lebten, bekamen sie häufig den so genannten »Alzheimer-Crossover« und zeigten Anzeichen von Demenz. Als bei Finch die ersten Anzeichen einer Demenz aufgetreten waren, hatte es sie erleichtert zu erfahren, dass es sich nur um die Parkinson-Krankheit handelte, erinnerte sich Melville. Nur. Ein Witz war das. Die Äußerung, etwas sei »nur Parkinson«, das war, als würde man sagen, der Hurrikan Katrina sei nur einen Tag in New Orleans gewesen. Parkinson war eine der grausamsten Krankheiten, die es überhaupt gab. Wenn man lange genug damit lebte und einen nichts anderes zuerst erledigte, dann endete man in Embryonalhaltung in einem Bett in irgendeinem Heim, manchmal für Jahre. Melville hoffte, dass er die nötige Kraft haben würde, um Finch zu helfen, allem ein Ende zu bereiten, sollte es dazu kommen. Er wusste, wie Finch darüber dachte, und er wusste auch, dass Finch seit Jahren Pillen gegen das Unvermeidliche aufbewahrte.
    Aber gerade hatte sich alles geändert, und zwar ganz schnell, mit einem Blick, einer flapsigen Bemerkung, einem sarkastischen Tonfall, den er bei Finch noch nie zuvor gehört hatte.
    An dem Abend, an dem er Melville hinausgeworfen hatte, hatte Finch ihm den Yeats-Band nachgeworfen und ihn heftig am Kopf getroffen. Melville hatte das Buch viele Jahre nicht mehr gesehen – er und Finch hatten es nach Maureens Selbstmord weggeräumt, damit Zee es nicht fand.
    »Raus!«, brüllte Finch. »Und komm bloß nicht zurück!«
    Melville rief einen Arzt in Boston an, den er über ein paar Ecken kannte, ein Neurologe, mit dem er vor ein paar Jahren einmal einen Kaffee getrunken hatte.
    »Eine Demenz verhält sich seltsam«, sagte der Arzt. »Manchmal ist es schlimmer, wenn es anfängt. Da ist viel Wut dabei. Der Patient versucht die Symptome zu verbergen, hat aber eindeutig Angst. Und dann gibt es ein zweites Stadium, da setzt sich alles. Normalerweise schafft das allen ein wenig Erleichterung. Ich nenne das die Schonzeit. Natürlich wird es auch eine Zeit geben, wo er Sie womöglich gar nicht mehr erkennt«, sagte der Arzt, »aber die ist hoffentlich noch weit entfernt.«
    Der Plan, den Melville und Zee heute ausgeheckt hatten, war eigentlich sehr logisch. Er würde vorbeifahren, angeblich um ein paar von seinen Sachen abzuholen. Dann

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