Die Widmung: Roman (German Edition)
verspätet«, sagte sie und war froh, dass sie nur auf den Anrufbeantworter zu sprechen brauchte statt mit der Frau persönlich – die ihr zugegebenermaßen eine Heidenangst einjagte.
Zee war ein bisschen aufgeregt, so wie als Kind, wenn sie schneefrei hatten. Michael würde erst mit dem letzten Flug aus Washington kommen. Nachdem ihr nun ein Winterbild eingefallen war, beschloss Zee, diese unerwartete Freiheit wie einen Schneefrei-Schultag zu nützen. Auch wenn jetzt draußen fünfunddreißig Grad herrschten. Der Abend lag vor ihr. Sie konnte damit anfangen, was sie wollte. Zee wusste nicht, wann sie das letzte Mal einen freien Abend gehabt hatte. Schon seit längerem war nur wenig Zeit für anderes geblieben als Arbeit und Hochzeitsplanung. Sie hatte in den letzten Monaten nicht einmal ihren Vater besucht und ein schlechtes Gewissen deswegen, obwohl sie wusste, dass er sie verstehen würde.
Der Hochzeitstermin war erst im Spätherbst, aber sie hatte den Eindruck, als gäbe es jeden Tag mindestens eine wichtige Sache für die Hochzeit zu erledigen. Zee hasste das. Heute Abend sollten sie eigentlich Sushi bei O Ya probieren, und drei Sorten Sake. Kein schlechter Plan für den Abend, wenn man es recht überlegte. Aber Michael würde es nicht rechtzeitig schaffen, und alleine konnte sie mit der Hochzeitsplanerin nicht verhandeln. Das Problem war nicht die Hochzeitsplanerin, die wahrscheinlich die beste von ganz Boston war. Das Problem lag darin, dass Zee keine Entscheidungen treffen konnte, dass sie nichts aus der Unmenge von Optionen auswählen konnte, die die Hochzeitsplanerin anbot.
Ihre Entschuldigung war eine Lüge gewesen – eigentlich eher eine kleine Verdrehung der Tatsachen. Lilly hätte um drei Uhr bei ihr sein sollen und nicht um fünf, und ob sie noch erschien oder nicht, würde wenig an den Plänen für den Abend ändern.
2
Obwohl es zu ihrem Haus am Beacon Hill nicht weit zu laufen war, winkte Zee einem Taxi. Sie war nicht Mattei. Sie schwitzte nicht gerne. Draußen vermischten sich Abgase und Dunst und schufen in der Hitze ein Trugbild, das die Gebäude auf der anderen Seite des Flusses aussehen ließ, als würden sie gleich schmelzen. Stadteinwärts wie stadtauswärts stockte der Verkehr. Ein Lastwagen, der irgendwie auf den Storrow Drive gelangt war, hatte eine Fußgängerüberführung gerammt und abgerissen, und nun ging in beide Richtungen gar nichts mehr. Zee lotste den Taxifahrer weg von dem Stau und den Hügel hinauf.
In dem Taxi war es kühl. Auf einem Sender mit schlechtem Empfang lief Mahler, unterbrochen von den Störgeräuschen durch das iPhone des Fahrers, das immer wieder E-Mails abzurufen versuchte. Auf dem Beifahrersitz war eine Großflasche Händedesinfektionsmittel ausgelaufen, und es roch nach Alkohol, ohne dass es der Fahrer gemerkt hatte. Zee dachte unwillkürlich an alte Spionagefilme: ein Taschentuch mit Chloroform, eine Hand auf dem Mund, Aufwachen an einem dunklen Ort. Sie öffnete das Fenster einen Spalt und versuchte nicht zu atmen, zumindest nicht zu tief.
Sie dachte an Matteis Sinnesübungen. Schalte deine Sinne ab und tausche sie aus. Riechen und was? Hören? Nein, tasten war besser. Zee fuhr mit den Fingern über den Türgriff und den Kunstledersitz. Schalte die Sinne ab, die dich stören, wähle diejenigen aus, mit denen du zurechtkommst.
Als sie endlich zu Hause angelangt war, gab Zee dem Taxifahrer Trinkgeld, lief zur Rückseite des Hauses, stieg die Außentreppe zur Veranda hinauf und ging durch die Küchentür hinein. Innen war es eiskalt, was gut zu ihrem Schneefrei-Vergleich passte.
Vor ein paar Augenblicken war sie noch froh um die Hitze gewesen, und nun war sie wieder froh um die Kälte. In letzter Zeit schien Zee diese Extreme immer mehr zu brauchen. Darüber wollte sie gar nicht weiter nachdenken, denn es erinnerte sie zu sehr an ihre Mutter. Sie zog sich die Schuhe aus, ohne sich welche von den Pantoffeln für Gäste zu nehmen, die Michael in einem Eimer bereitgestellt hatte. Ihre heißen Füße verursachten feuchte Abdrücke auf dem kühlen, dunklen Holzboden. Mit jedem Schritt nach vorn verschwanden langsam die Fußabdrücke, die sie hinter sich ließ.
Sie war ein wenig hungrig und öffnete den Kühlschrank. Es gab noch ein paar Reste von der Party, zu der sie am letzten Wochenende eingeladen hatten, ein bisschen Schinken aus Italien und eine Menge Käse. Sie hatten mehrere Gäste gehabt. Zum Großteil waren das Leute, mit denen Michael
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