Die Wiederkehr des gefallenen Engels
Amerika, die Großmutter tot oder verletzt. Sie hatten niemand mehr. Keinen, der ihr Trost spenden konnte, der ihr sagte, dass alles gut werden würde.
Nichts würde jemals wieder gut werden. Morgen um Mitternacht würde sie sterben oder zu etwas werden, das sie nicht sein wollte.
Kann ich böse sein? Böse Dinge tun?
Sie wusste es nicht. Menschen waren in Extremsituationen zu allem fähig, warum sollte es bei ihr anders sein.
Satans Tochter.
Sie hauchte gegen die Fensterscheibe und malte ein trauriges Smiley.
Immer habe ich mir einen Vater gewünscht. Mich danach gesehnt, von ihm in den Arm genommen zu werden. Nun habe ich bekommen, was ich wollte.
Heißt es nicht bei den Chinesen: Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst. Sie haben recht. Ich hätte es mir nicht wünschen sollen. Ich hatte alles, was ich brauchte.
Lara dachte an ihre Mutter. Wie es ihr wohl gerade ging? Sie musste längst in Miami gelandet sein, vielleicht war sie schon am Strand, schwamm im Meer und genoss die Sonne auf ihrer Haut.
Ob wir uns jemals wiedersehen?
Eine Träne lief über ihre Wange. Damian stand auf und setzte sich neben sie auf den Sitz, er zog sie stumm in seine Arme. Seine Berührung spendete ihr ein wenig Trost.
»Hast du Angst?«, fragte er leise.
Sie nickte.
»Das verstehe ich gut.«
»Nein, weißt du, es ist viel mehr als das«, erklärte sie. Sie blickte sich erst einmal um, bevor sie leise weitersprach. »Ich weiß nicht weiter. Dämonen und dunkle Engel jagen mich. In Berlin wartet Satan darauf, dass ich ihm gegenübertrete. Ich weiß nicht, ob ich die Menschen, die ich liebe, wiedersehe, und ich weiß nicht, wer ich dann sein werde. Bin ich dann noch ein Mensch oder schon längst ein Monster? Werde ich in diese Welt zurückkehren können? Den Himmel sehen? Die Sonne auf meiner Haut spüren? Einen Sommer erleben?«
Er schwieg.
»Darauf kennst auch du keine Antwort«, sagte Lara bitter. »Immer heißt es nur ›die Bestimmung‹, und was ich zu tun habe. Manchmal denke ich, scheiß auf die Welt, soll sie doch jemand anderes retten. Ich möchte wieder ein normales Mädchen sein, zur Schule gehen und mir den Kopf darüber zerbrechen, was ich nach dem Abi mache.«
Seine Hand strich zärtlich über ihr Gesicht, aber sie entzog sich ihm.
»Verstehst du das, Damian? Sag mir, dass du es verstehst!«
»Ja, ich verstehe dich.«
Sie sah ihn an, blickte ihm tief in die Augen. »Nein, das tust du nicht. Du versuchst zu verstehen, aber du bist kein Mensch, du kannst nicht wissen, wie es ist, sterblich zu sein.«
Kaum hatte sie es ausgesprochen, bereute sie den Satz. Damian hatte sich in Berlin für sie geopfert, war für sie sogar schon einmal gestorben. Sie hatte kein Recht, ihren Frust an ihm auszulassen.
»Es tut mir leid. Das hätte ich nicht sagen sollen«, entschuldigte sie sich.
»Ist schon okay.« Er versuchte sich an einem Lächeln, aber es misslang.
»Damian?«
»Ja.«
»Erzähl mir vom Himmel.«
Er dachte einen Moment lang nach, dann erzählte er. »Es gibt in der Sprache der Menschen keine Worte dafür. Der Himmel …« Seine gesunde Hand machte eine hilflose, alles umfassende Geste. »… übersteigt jede Vorstellungskraft. Er ist weniger ein Ort als ein Gefühl.«
»Was für ein Gefühl?«
Er schwieg. Sah sie an. Dann sagte er: »Nicht mehr allein zu sein. Niemals wieder. Teil des Ganzen zu werden und zu bleiben.«
»Das ist bestimmt ein schönes Gefühl.« Sie streckte ihre Hand nach seiner aus. »Du hast all das aufgegeben, um zu mir zurückzukehren?«
»Ich liebe dich.«
In seinen grauen Augen funkelte die Ewigkeit. Lara versank darin.
»Ich liebe dich auch.« Sie zögerte. »Egal, was noch kommt, ich bereue nichts. Gar nichts. Ohne all die schrecklichen Dinge, die geschehen sind und noch geschehen werden, hätte ich dich nicht kennengelernt.«
»Es tut …«
»Nein, bitte, sag nicht, dass es dir leidtut, denn das soll es nicht. Ich habe die Liebe gefunden. All die Jahre habe ich mich gefragt, wie es sein wird, wenn man jemanden liebt und selbst geliebt wird. Nun weiß ich es.« Ihre Augen strahlten bei diesen Worten. »Es ist schön, unendlich schön und alles wert, was noch kommen mag. Nichts und niemand kann dieses Gefühl in mir auslöschen, dafür bin ich dankbar. Ich bin dir dankbar dafür, dass du mich liebst.«
»Lara …«
»Scht. Sag nichts. Lass mich deine Hand halten. Wir sind zusammen, das ist alles, was zählt.«
Sie kam ihm entgegen und er erwiderte zärtlich ihren
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