Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
seinen Besuch und sein Benehmen erklären könnte, aber ich las vom reaktionslosen Gesicht meines Freundes ab, daß der ihm nicht mehr als mir besagte.
»Nehmen Sie eine Zigarette, Mr. McFarlane«, sagte Holmes und schob ihm sein Etui hin. »Ich bin sicher, daß Ihnen mein Freund hier, Dr. Watson, bei Ihren Symptomen ein Beruhigungsmittel verschreiben würde. In den letzten Tagen war es viel zu heiß. Wenn Sie sich dann etwas gefaßt haben, wäre ich glücklich, Sie setzten sich auf den Stuhl und erzählten uns langsam und ruhig, wer Sie sind und was Sie wünschen. Sie haben Ihren Namen in einem Ton gesagt, als ob ich ihn kennen müßte, aber ich versichere Ihnen, ich weiß nichts über Sie, abgesehen von so offenkundigen Tatsachen, daß Sie Junggeselle sind, Advokat, Freimaurer und Asthmatiker.«
Da ich mit meines Freundes Methoden vertraut war, fiel es mir nicht schwer, seinen Schlüssen zu folgen; ich bemerkte die Nachlässigkeit in der Kleidung, die Rolle juristischer Papiere, das Amulett an der Uhr und das schwere Atmen. Unser Klient jedoch war starr vor Staunen.
»Ja, das alles bin ich, und obendrein bin ich in diesem Augenblick der unglücklichste Mann von ganz London. Um Himmels willen, lassen Sie mich nicht im Stich, Mr. Holmes! Wenn sie mich verhaften kommen, ehe ich meine Geschichte beendet habe, sorgen Sie dafür, daß man mir Zeit gibt, Ihnen die ganze Wahrheit zu erzählen. Ich würde unbeschwert ins Gefängnis gehen, wenn ich wüßte, daß Sie draußen für mich wirken.«
»Sie verhaften!« sagte Holmes. »Das ist wirklich sehr begr… höchst interessant. Unter welchem Verdacht erwarten Sie, verhaftet zu werden?«
»Unter dem Verdacht, Mr. Jonas Oldacre aus Lower Norwood ermordet zu haben.«
Das ausdrucksvolle Gesicht meines Freundes zeigte eine Sympathie, die, wie ich fürchte, nicht frei von Genugtuung war.
»Lieber Gott!« sagte er, »gerade erst beim Frühstück sagte ich zu meinem Freund Dr. Watson, daß sensationelle Fälle aus unseren Zeitungen verschwunden seien.«
Unser Besucher streckte die zitternde Hand aus und nahm den ›Daily Telegraph‹, der noch auf Holmes’ Knien lag.
»Wenn Sie hineingeschaut hätten, Sir, würden Sie mit einem Blick die Meldung gesehen haben, auf die hin ich heute früh zu Ihnen gekommen bin. Ich fühle mich, als ob mein Name und mein Unglück in aller Munde sein müßten.« Er schlug die Mittelseite der Zeitung auf. »Hier steht es, und mit Ihrer freundlichen Erlaubnis werde ich es Ihnen vorlesen. Hören Sie, Mr. Holmes. Die Schlagzeilen lauten: ›Rätselhafte Affäre in Lower Norwood. Verschwinden eines bekannten Baumeisters. Verdacht auf Mord und Brandstiftung. Ein Hinweis auf den Verbrecher‹. Diesem Hinweis geht man bereits nach, Mr. Holmes, und ich weiß, daß er unfehlbar zu mir führt. Von der London Bridge Station an sind sie mir gefolgt, und ich bin sicher, daß sie nur auf den Haftbefehl warten, um mich festzunehmen. Es wird meiner Mutter das Herz brechen!« Er rang vor Verzweiflung die Hände und schwankte auf dem Stuhl hin und her.
Ich betrachtete mit Anteilnahme diesen Mann, den man verdächtigte, eine Gewalttat verübt zu haben. Er war flachshaarig und hübsch auf eine farblose nichtssagende Art, hatte ängstliche blaue Augen und ein glattrasiertes Gesicht mit einem schwachen, sinnlichen Mund. Sein Alter mochte bei siebenundzwanzig liegen; Anzug und Auftreten waren die eines Gentleman. Aus der Tasche sei nes leichten Sommermantels ragte das Bündel von Amtspapieren, das seinen Beruf verriet.
»Wir müssen die uns verbleibende Zeit nutzen«, sagte Holmes. »Watson, wären Sie so freundlich, die Zeitung zu nehmen und mir den fraglichen Abschnitt vorzulesen?«
Unter den knalligen Schlagzeilen, die unser Klient zitiert hatte, las ich die folgende beeindrukkende Schilderung:
»Spät in der vergangenen Nacht oder am heutigen frühen Morgen hat sich in Lower Norwood ein Ereignis zugetragen, das, wie befürchtet wird, auf ein schweres Verbrechen hinweist. Mr. Jonas Oldacre ist ein in jenem Vorort bekannter Bürger, er hat dort über viele Jahre seinen Beruf als Baumeister ausgeübt. Mr. Oldacre ist Junggeselle, zweiundfünfzig Jahre alt und wohnt im Hause ›Deep Dene‹ an der Straße nach Syndenham. Er steht im Ruf eines Mannes von exzentrischen Gewohnheiten und lebt abgesondert und zurückgezogen. Vor mehreren Jahren hat er sein Geschäft praktisch aufgegeben, denn er hatte es, dem
Weitere Kostenlose Bücher