Die Wiederkehr von Sherlock Holmes, Bd. 3
schloß, die Geräusche seien von draußen gekommen. Dann plötzlich, ungefähr fünf Minuten später, war da ein gräßlicher Schrei – der fürchterlichste Laut, Mr. Holmes, den ich je gehört habe. Solange ich lebe, wird er in meinen Ohren gellen. Ein, zwei Minuten lang war ich starr vor Entsetzen. Dann packte ich den Schürhaken und stieg die Treppe hinunter. Als ich dieses Zimmer betrat, fand ich das Fenster weit offen, und mir fiel sofort auf, daß die Büste nicht mehr auf dem Kaminsims stand. Warum ein Einbrecher so ein Ding mitgenommen haben sollte, ging über meinen Verstand, denn es war nur ein Gipsabguß, ohne wirklichen Wert. Wie Sie sehen, kann jeder, der aus dem Fenster steigt, mit einem großen Schritt die Stufen vor der Haustür erreichen. Genau das hatte der Einbrecher getan, deshalb ging ich herum und öffnete die Tür. Als ich in die Dunkelheit hinaustrat, wäre ich fast über einen toten Mann gestolpert, der dort lag. Ich lief zurück, um ein Licht zu holen, und dann sah ich den armen Burschen: eine klaffende Wunde am Hals, und alles schwamm im Blut. Er lag auf dem Rücken, die Knie waren hochgezogen, der Mund stand schrecklich offen. Ich werde dem Bild in meinen Träumen begegnen. Ich hatte gerade noch Zeit, nach der Polizei zu pfeifen, dann muß ich ohnmächtig geworden sein, denn ich erinnere mich an nichts weiter als an den Polizisten, der in der Halle über mir stand, als ich wieder zu mir kam.«
»Wer war der Ermordete?« fragte Holmes.
»Es gibt keinen Hinweis darauf, wer es war«, sagte Lestrade. »Sie werden ihn in der Leichenhalle sehen, aber wir haben bis jetzt nichts über ihn herausgefunden. Es ist ein großer Mann, sonnengebräunt, sehr kräftig, nicht älter als dreißig. Er ist ärmlich gekleidet, scheint aber doch kein Arbeiter gewesen zu sein. Ein Klappmesser mit Horngriff lag neben ihm in der Blutlache. Ob das die Waffe ist, mit der die Tat begangen wurde, oder ob sie dem Toten gehört, weiß ich nicht. In seinen Kleidern fand sich kein Name, in den Taschen war nichts als ein Apfel, ein Knäuel Bindfaden, ein billiger Plan von London und eine Photographie. Hier ist sie.«
Das Bild war offenbar ein Schnappschuß, mit einer kleinen Kamera aufgenommen. Es stellte einen lebhaften, affenartigen Mann mit scharfen Zügen und dicken Augenbrauen dar, dessen unterer Gesichtsteil besonders vorstand wie das Maul eines Pavians.
»Und was ist aus der Büste geworden?« fragte Holmes, nachdem er das Bild eingehend betrachtet hatte.
»Gerade bevor Sie ankamen, haben wir es erfahren. Sie wurde im Vorgarten eines leeren Hauses in der Campden House Road gefunden. Sie war in Stücke zerbrochen. Kommen Sie mit?«
»Sofort. Ich will mich nur noch einmal umsehen.« Er untersuchte den Teppich und das Fenster. »Der Bursche hat entweder sehr lange Beine, oder er ist äußerst gelenkig«, sagte er. »Es war keine Kleinigkeit, über das Souterrain hinweg diese Fensterbank zu erreichen und das Fenster zu öffnen. Der Rückweg war vergleichsweise einfach. Kommen Sie mit uns, Mr. Harker, die Überbleibsel Ihrer Büste anzusehen?«
Der verzweifelte Journalist hatte sich an einen Schreibtisch gesetzt.
»Ich muß versuchen, etwas aus der Sache zu machen«, sagte er, »obwohl sie fraglos in den ersten Ausgaben der Abendzeitungen schon mit allen Details erschienen ist. Das ist mein Teil Glück! Sie erinnern sich, als die Tribüne in Doncaster zusammenbrach! Also, ich war der einzige Journalist auf der Tribüne, und meine Zeitung war die einzige, die keinen Bericht darüber brachte, weil ich zu erschüttert war, um etwas zu schreiben. Und jetzt komme ich zu spät mit einem Mord, der vor meiner eigenen Haustür passiert ist.«
Wir verließen den Raum und hörten seine Feder quietschend über den Papierbogen eilen.
Die Stelle, wo man die Scherben der Büste gefunden hatte, lag nur einige hundert Yard entfernt. Zuerst einmal ließen wir unsere Blicke auf dieser Darstellung des großen Kaisers verweilen, die anscheinend im Hirn des Unbekannten einen so rasenden, zerstörerischen Haß hervorgerufen hatte. Ihre Scherben lagen im Gras verstreut. Holmes hob ein paar Stücke auf und prüfte sie eingehend. Sein gespanntes Gesicht und sein zielbewußtes Vorgehen verrieten mir, daß er schließlich doch auf eine Spur gestoßen war.
»Nun?« fragte Lestrade.
Holmes zuckte die Schultern.
»Vor uns liegt noch ein langer Weg«, sagte er. »Und dennoch – wir
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