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Die Wildnis

Die Wildnis

Titel: Die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Golden , Tim Lebbon
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Zivilisation, die Dawson City bot, würde er Jack tatsächlich aufschlitzen und den Wölfen zum Fraß vorwerfen.
    Jack stand auf, eines der schmerzhaftesten Erlebnisse seines ganzen Lebens. Er biss sich auf die Lippe, um nicht in Ohnmacht zu fallen.
    Archie kicherte und warf Jack einen Sack vor die Füße. »Der hier reicht erst mal. Sollst dich ja nicht verheben.« Seine Stimme wurde düster. »Wir haben schon genug von euch verloren, und die eigentliche Arbeit kommt erst noch.«
    Der Zug marschierte nun weiter. Archie blieb dicht bei ihm, das Gewehr wiegte er in den Armen, doch Jack versuchte, den großen Mann gar nicht erst anzusehen. Er wollt ihm keine Genugtuung verschaffen … Außerdem musste er sich auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren.
    Nach ein paar Minuten Fußmarsch, in denen Jack sich überlegte, wo und wie schwer er verletzt war, bemerkte er den Mann, der drei Meter links von ihm ging.
    »Merritt!«, flüsterte Jack.
    Merritt sah nicht auf, obwohl er ihn gehört haben musste.
    »Merritt! Hey, alles in Ordnung?«
    Sein stämmiger Freund sah unverletzt aus und ging so aufrecht und selbstbewusst wie eh und je. Er trug einen großen Rucksack und mehrere lange Schaufeln vor der Brust.
    »Merritt, was ist …«
    »Jim ist tot«, sagte Merritt, ohne Jack anzusehen. Während er weitersprach, brachte er es nicht über sich, den Blick vom Boden zu heben. »Sie haben wohl zu fest zugeschlagen, denn als er auf einem der Pferde aufgewacht ist und sie ihn losgebunden haben, ist er runtergefallen. Konnte sich kaum auf den Beinen halten. Ich bin zu ihm hin und wollte ihm helfen, aber sie haben mich geschlagen und weggedrängt. Jim konnte gar nicht mehr geradeaus laufen. Er hatte seine Brille verloren, aber das, das war’s nicht … Es war sein Schädel. Er war ganz angeschwollen, wo sie ihn geschlagen hatten, aber er sah ganz matschig aus. Sie wollten, dass er in Reih und Glied marschiert, und gaben ihm Gepäck zu tragen, aber er ist immer wieder hingefallen. Sie haben ihm gesagt, was sie mit ihm machen, wenn er nicht aufsteht und weiterläuft, aber er hat sie gar nicht gehört, glaube ich. Dann hat William – dein Freund William, Jack, der mit dem Tod in den Augen, den du dir zum Feind gemacht hast – seine Pistole gezogen und Jim in den Kopf geschossen. Bringt doch nichts mehr , hat er gesagt, und dann sind alle weitermarschiert. Haben ihn nicht mal beiseite geräumt, einfach einen Bogen um ihn gemacht, während seine Leiche steif zu werden begann. Ich wollte zu ihm, aber sie ließen mich nicht. Ich wollte kämpfen, aber ich hatte keine Kraft mehr, Jack.«
    »Jim …«, sagte Jack sanft. Er blickte nach rechts zu Archie und sah, dass der bärtige Schläger grinste. Er will, dass Merritt mir das erzählt , dachte Jack. Er will, dass ich es erfahre.
    »Jim ist tot«, meinte Merritt. »Wären nicht du und deine Fäuste gewesen … Wer weiß, Jack? Wer weiß?«
    »Merritt?«, fragte Jack. Nein, ich war ’ s nicht, das ist nicht meine Schuld. »Merritt?« Doch sein großer Freund sah nichtauf, und im Laufe des Tages entfernte er sich immer weiter von Jack, weiter die Schlange der menschlichen Lasttiere entlang.
    Jack sah sich um und lauschte nach dem Wolf, der ihn mit seinem Heulen geweckt hatte. Doch er hörte nichts mehr von ihm.
    Nur noch die Wildnis.
    Im Laufe der letzten sieben Monate hatte er drei neue Freunde gefunden, von denen er zwei wieder verloren hatte. Den einen durch die Grausamkeit der Sklaventreiber, den anderen durch Vorwürfe und Schuldzuweisungen – doch nun suchte er endlich nach Gold. Vielleicht existierte sein dritter Freund nur als Wahnvorstellung in seinem Hirn. Doch hier, in der atemberaubend schönen, brutalen Wildnis des Yukons, fühlte sich dieser Wolf so nah an wie nie zuvor.
    Er hätte vermutlich mit der Brutalität hier draußen rechnen sollen, wo das Gold den Menschen mit der Möglichkeit unermesslichen Reichtums die Sinne vernebelte. Sein kurzer Gefängnisaufenthalt hatte ihm die Fähigkeit mancher Menschen zur Grausamkeit auf schockierende Weise vor Augen geführt. Und hier in der Wildnis, wo das Gesetz so wenig verbreitet war, kaum mehr als ein Windhauch, war es klar, dass diese Grausamkeit bei manchen Männern zutage trat. Er hätte mit Mord und Diebstahl rechnen sollen und mit toten Männern, die mit Kugellöchern oder Schaufelwunden als einzige Beweise ihrer Goldsuche die wunderbare Landschaft verunstalteten. Doch Sklaverei hätte er niemals erwartet.
    William war der

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