Die Wildnis
fallengelassen hatte. Es gab jedoch nirgends Leichen. Und das war das Schlimmste.
Jack hob eine verwaiste Schaufel hoch und schritt damit durchs Lager. Er suchte unter Decken und zerfetzter Kleidung nach etwas, das er beerdigen konnte. Doch er fand nichts. Als Jim tot war, hatten ihn William, Archie und die anderen Sklaventreiber den Wildtieren zum Fraß überlassen. Doch so etwas brachte kein Tier zustande. Der Wendigo hatte alle im Lager umgebracht, Goldgräber und Gefangene, und nun blieb von ihnen keine Spur. Entweder hatte das verfluchte Wesen sie mit Haut und Haaren verschlungen, oder es hatte ihre Knochen für später irgendwo anders deponiert. Die allerletzten Überreste des Massakers waren vermutlich von den Tieren und Vögeln der Umgebung verspeist worden.
Nur das Blut war noch da. Und vielleicht die Geister der Männer, die hier ohne ein Mahnmal gestorben waren.
Ich hätte bei ihnen sein sollen , dachte Jack. Es war ein törichter Gedanke. Der Wendigo hätte ihn genau wie alle anderen zerfetzt. Er war im Dunklen fast unsichtbar und blitzartig durchs Lager gerauscht, als wenn die Nacht selber Klauen und Reißzähne hätte. Das Lager hallte jetzt noch wider von den Schreien der Getöteten. Jack war an einen Pflock gefesselt gewesen. Wenn der Wolf ihn nicht befreit und zur Flucht gedrängt hätte, wäre er dem Ungeheuer hilflos ausgeliefert gewesen.
Als die Schatten länger wurden und es zu dämmern begann, durchsuchte Jack das Lager genauer. Den ganzen Tag war die Temperatur schon gefallen. Nun fand er einen zweiten Pullover, einen dicken Mantel und mehr als ein paar Handschuhe.
Streunende Tiere hatten sich schon über etliche Rucksäcke hergemacht und das Essen herausgeholt, trotzdem fand er noch mehr als genug Trockenfleisch, Dosenbohnen und andere Sachen, die er kaum beachtete. Was ihn am meisten interessierte,war die Kaffeedose, die er aus einem Leinensack hervorholte, sowie ein Feuerstein und ein Metalltopf. Es gab weitere Töpfe, Streichholzschachteln, Tabak und jede Menge anderen Kram, den er sich morgen früh ansehen würde, um zu entscheiden, was er wirklich auf den Weg mitnehmen wollte. Er suchte sich den Rucksack aus, der noch am besten von allen aussah, und leerte ihn aus, um ihn nach dem Essen wieder zu packen.
Die Waffen der Goldsucher waren keine Hilfe gegen den Wendigo gewesen, und die verfluchte Kreatur hatte auch keine Verwendung dafür gehabt. Sie lagen mit all dem anderen Zeug am Boden des Lagers verstreut. Jack suchte sich das beste Gewehr aus, zwei gut geölte Colts, einen kleinen Derringer mit zwei Schuss, ein paar Bowie-Messer und eine kleine Axt. Die Munition dafür wanderte in den Rucksack, ehe die Dunkelheit es ihm unmöglich machte zu unterscheiden, welche Kugeln in welche Büchse passten.
Als er sich daran machte, die ledernen Satteltaschen auf einen Haufen zusammenzuschleppen, bemerkte er, dass sie ungewöhnlich schwer waren. Den Grund dafür entdeckte er im Inneren – in jeder Tasche steckten zwei kleine Beutel voll Gold, vier insgesamt. Als er in den ersten Beutel blickte, lächelte er und hätte gleichzeitig fast angefangen zu weinen. Er hatte seiner Mutter und Eliza Klondike-Gold versprochen und Shepard geschworen, nicht ohne es heimzukehren. Finstere Männer mit pechschwarzen Herzen hatten für dieses Gold gemordet, Unschuldige waren dafür gestorben. Bei all dem Blut, das daran klebte, hätte Jack es auf der Stelle liegenlassen sollen, aber schließlich hatte er auch dafür gelitten, und er wollte verflucht sein, wenn er mit leeren Händen zurückkehren sollte, jetzt, da er es in Händen hatte.
Die Nacht brach an, Jack entfachte ein Feuer, wärmte eine Dose Bohnen auf und aß sie mit etwas Trockenfleisch. Es war eine karge Mahlzeit im Vergleich zu dem, was er von Lesya gewohnt war, aber zwischen hier und seiner Heimat würde er sich daran gewöhnen müssen. Danach machte er sich Kaffee – der wahre Grund für das Feuer, denn die Bohnen hätte er auch, wie schon oft, einfach zerkauen können – und lehnte sich an einen Sattel, den er ans Feuer geschleppt hatte. Er hatte sich schon ein Nachtlager vorbereitet, wollte aber noch nicht schlafen.
In einen anderen Sattel schnitzte er einen Nachruf auf die Männer, die hier am Ufer ihr Ende gefunden hatten. Ein Wind zog auf, und die Kälte schmerzte ihm in den Händen, doch Jack hörte nicht auf, bis er seine ganze Botschaft ins Leder geritzt hatte.
Jack erwachte vor Sonnenaufgang. Schnee fiel auf sein Gesicht. Er
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