Die Wildnis
überzeugt war, dass ihn irgendetwas auf seinem Marsch beobachtete. Es sah ihm zwischen den Bäumen hindurch zu, im tosenden Schneesturm versteckt, untergetaucht im eisigen, reißenden Wasser. Er konnte nicht herausbekommen, wo es sich befand, aber er spürte genau, dass es da war .
Lesya? Oder … ein Funken Hoffnung stieg in ihm auf … der Wolf? Ihm fielen auch andere Möglichkeiten ein. Der Wendigo war einmal abgewehrt worden, doch immer noch durchstreifte er die Wildnis, zusammen mit ungeahnten anderen Geistern und Sagengestalten.
Jack marschierte weiter, obwohl er schon längst eine Pause hätte machen sollen. Immer noch nagten Zweifel an ihm. Im Laufe des vergangenen Jahres waren seine Sinne geschärft worden, sowohl im letzten Winter durch seinen Schutzgeist, den Wolf, als auch durch die finstere Gegenwart Leschijis in seinem Wald. Aber konnte er sich wirklich darauf verlassen? Oder verspürte er nur eine Gefahr im Schneetreiben, weil er sie dort erwartete?
Die Frage ließ ihn nicht los, minderte seine Anspannung aber nicht im Geringsten. Einmal stolperte er und sah rasch zu einer nahen Baumreihe auf. Dabei glaubte er zu erkennen, wie eine dieser dunklen Gestalten sich bewegte und tiefer in den Wald verschwand.
Er stemmte sich gegen den Wind und stapfte mit wachsamen Blicken auf die Bäume weiter, doch nichts bewegte sich mehr. Bald hatte er den Wald hinter sich gelassen. Ein kahler, steiniger Hang führte vom Ufer hinauf. Die einzigen Gestalten im Schnee waren niedrige Büsche und Felsen, die aus dem Boden ragten. An den Sträuchern hing Schnee, doch dank der Windböen lagen die Steine frei.
Jack wirbelte herum, überzeugt davon, beobachtet zu werden, doch er sah nichts als Schneewehen. Das Gewicht seines Gepäcks setzte ihm zu, er verlagerte die Satteltaschen von einer Schulter auf die andere. Er nahm das Gewehr von der Schulter und spannte den Hahn. Die kalten Finger in den Handschuhen und seine Knochen schmerzten, aber den Abzug würde er immer noch ziehen können. Ob die Kugeln etwas ausrichten würden, wusste er allerdings nicht. Er hatte immerhin bis jetzt überlebt und würde auch zu seinen Lieben nach Hause zurückkehren. Das schuldete er Shepard, und Eliza würde es das Herz brechen, sollte sie ihn nie wiedersehen.
»Komm heraus und zeig dich!«, rief Jack, doch der Wind trug seine Worte fort. Wieder drehte er sich um, und diesmal erwischte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung, die gleich wieder im Sturm verschwand. Er hielt die Luft an und lauschte, doch er hörte nur den Wind und das Wasser.
Er war nicht allein im Schneetreiben. Etwas folgte ihm Schritt für Schritt.
Jack ging näher ans Ufer, sah sich um und blieb stehen. Er machte die Augen zu, atmete aus und ließ seine Seele sich ausbreiten, so wie Lesya es ihm beigebracht hatte. Zuerst tastete er nach Tieren und fand schlafende Eulen, unruhige Hasen, verstohlene Marder, einen einzelnen Schwarzbären und eine kleine Karibuherde in der Ferne.
Doch das unbekannte Etwas war auch da. Er konnte es zwar nicht im Geiste berühren wie die Tiere, aber er spürte es nun ganz deutlich und wusste, dass es ihm schaden wollte. Lesya war vielleicht eine Verrückte, die ihn für seinen vermeintlichen Verrat bestrafen wollte, doch die Waldhexe war trotzdem nur eine verlorene Seele, die von Einsamkeit geplagt wurde. Das Ding, das ihn nun verfolgte, fühlte sich jedoch viel finsterer und gefährlicher an, als es die irre Lesya je sein konnte.
Jack hörte den Schnee knirschen. Er öffnete die Augen, und mit dem Rücken zum Fluss schwang er den Gewehrlauf herum. Wieder glaubte er, aus dem Augenwinkel eine Gestalt erblickt zu haben, diesmal vielleicht etwas näher als zuvor, doch sie verschwand, als er versuchte genauer hinzuschauen.
Er hob das Gewehr an seine Schulter und schoss in den Schnee, der Knall hallte durch den Sturm. Es kam keine Antwort. Weder ein Schmerzensschrei noch ein empörter Ruf. Er hatte auch nicht wirklich erwartet, seinen Verfolger zu treffen. Jack wollte ihn nur verscheuchen, wenigstens auf Abstand halten. Mit etwas Glück würde er vielleicht eine Goldgräberhütte oder eine Indianersiedlung am Fluss finden.
Er lud das Gewehr durch, um die nächste Patrone aus dem Magazin bereit zu haben. Auf sein Glück konnte er sich kaum verlassen, eher auf sein Lee-Metford-Gewehr. Er hatte noch sieben Schuss im Gewehr, und das war nicht seine einzigeWaffe. Er würde bis zum Tod kämpfen – auch gegen den Tod selbst, wenn es dazu käme –,
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