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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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sie wusste, dass sie wohl nie bei Lawrence’ Lager ankäme, wenn sie ihn zu sehr überforderte und er zusammenbrechen würde.
    Auch sich selbst hatte sie nicht geschont und war seit ihrer Flucht aus Damaskus die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag ohne Pause durchgeritten. Inzwischen war es acht Uhr abends. Sie war erschöpft, und alle Knochen taten ihr weh, aber sie legte sich nicht schlafen. Stattdessen zog sie die Papiere und Karten aus dem Kissenbezug und studierte sie aufmerksam. Dabei wurde ihr klar, dass Max von Brandt sie genauso getäuscht hatte wie sie ihn.
    Aus seinen Berichten ging hervor, dass er ihren Angaben über den Aufenthaltsort von Lawrence und über die Größe seiner Truppen keinen Glauben schenkte. Max zufolge befand sich Lawrence südlich der Hügel des Jabal Ad Duruz und würde von dort nach Norden vorstoßen, um Damaskus anzugreifen.
    Außerdem fand Willa heraus, dass die Türken über ein zweites Lager zehn Meilen westlich in gerader Linie zu ihrem Stützpunkt am Jabal Ad Duruz verfügten, sodass zwei türkische Verbände Lawrence in die Zange nehmen würden, wenn er nach Norden durchstoßen wollte. Damit käme es unvermeidlich zu einem Blutbad unter den arabischen Truppen.
    Lawrence hatte keine Ahnung von der Falle, die ihn erwartete, nicht einmal den leisesten Verdacht.
    Willa stützte das Kinn aufs Knie und dachte nach. Max hatte auf einer der Karten eingezeichnet, wo er Lawrence vermutete – bei Salkhad. Das war ein gutes Stück nördlich von dem Ort, den der Kamelhändler angegeben hatte. Laut seinem Bericht stützte Max seine Informationen auf Spähtrupps der Beduinen. Aber waren diese Spähtrupps verlässlich? Standen sie wirklich im Dienst der Türken? Manche Beduinen waren extrem gerissen und dachten sich nichts dabei, erst Geld von Max und dann noch mehr Geld von Lawrence zu kassieren, um Max mit Fehlinformationen zu füttern. War der Händler, der ihr den Aufenthaltsort von Lawrence verraten hatte, vertrauenswürdig? Hatte Lawrence in der Zwischenzeit sein Lager womöglich verlegt? Die Wüste südlich des Jabal Ad Duruz war ein riesiges, menschenleeres Gebiet, und Lawrence konnte überall sein.
    Aber Willa musste zu ihm, koste es, was es wolle. Sie musste ihn unbedingt vor der Falle warnen, in die er sonst nichts ahnend tappen würde. Sollte sie den Informationen von Max vertrauen und zu dem Ort reiten, den er auf seiner Karte eingezeichnet hatte? Oder sollte sie sich weiter südlich halten, wie der Händler es ihr geraten hatte?
    »Wie weit ist es noch, Attayeh?«, fragte sie leise. Aber Attayeh wusste keine Antwort darauf.
    Sie rollte die Karten wieder zusammen und steckte sie in den Kissenbezug. Gott sei Dank, dachte sie, hatte sie sie mitgenommen, denn ohne die Aufzeichnungen wäre sie absolut hilflos gewesen. Dann legte sie die Papiere und Berichte zurecht, die sie später lesen wollte. Sie war müde und brauchte Schlaf. Während sie die Papiere aufeinanderstapelte, fielen ein paar Seiten heraus. Sie hob sie auf, und dabei stach ihr eine Überschrift ins Auge.
    Es war ein Hinrichtungsbefehl. Für sie. In einem Telegramm aus Berlin.
    Das Blut gefror ihr in den Adern, als sie es las. Max wollte sie also gar nicht nach Deutschland oder zum Everest bringen, sondern in den Gefängnishof, um das Todesurteil vollstrecken zu lassen. Heute. Am Tag nach ihrem gemeinsamen Mahl. Nachdem er mit ihr geschlafen hatte.
    Zum ersten Mal, seit sie ihn niedergeschlagen und möglicherweise getötet hatte, verspürte sie keine Reue bei dem Gedanken. Er hätte sie umbringen lassen. Heute.
    Der Beduine, der ihr das Kamel verkauft und ihr Wasser und etwas von seinem eigenen Essen abgegeben hatte, hatte auch zwei Zigaretten und eine Schachtel Streichhölzer in ihre Satteltasche gesteckt. Sie nahm jetzt eine heraus, zündete sie mit zitternden Händen an und inhalierte tief.
    Sie war noch Tage vom Lager entfernt – wo immer es auch sein mochte. Sie besaß kaum Nahrungsmittel und Wasser. Sie hatte wichtige militärische Informationen vom Schreibtisch eines deutschen Offiziers gestohlen, Informationen, die sehr wohl die Wende im Kampf um den Mittleren Osten herbeiführen konnten. Vermutlich hatte sie diesen Offizier getötet, und inzwischen war bestimmt ein Preis auf ihren Kopf ausgesetzt. Jeder Wüstenbandit würde sie jagen, wie auch die gesamte türkische Armee.
    Gestern Nacht war sie dem Tod entronnen – aber für wie lange?

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    S id zuckte zusammen, als Maggie einen warmen,

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