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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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feuchten Lappen auf seine Stirn drückte. Er saß mit nacktem Oberkörper an einem winzigen Tisch unter Deck und ließ Maggies Bemühungen, ihn zu säubern, klaglos über sich ergehen.
    Es war fast zehn Uhr nachts, und John hatte gerade an einem verfallenen Lagerhaus in Margate festgemacht. Im Moment befand er sich oben an Deck und gab vor, die Leinen zu prüfen, obwohl er sich in Wirklichkeit umsah, ob vielleicht ein Wachmann oder einer von Maddens Leuten in der Nähe war. Sid wollte unbedingt vom Boot herunter und zu India und den Kindern nach Hause, weil er wusste, dass sie sicher schon ganz krank vor Sorge um ihn waren.
    »Halt still, Sid«, schimpfte Maggie. »Du kannst doch nicht raus, wenn du überall voller Blut bist. Die Bullen wären schneller hinter dir her, als du bis drei zählen kannst. Das muss ich dir doch wohl nicht sagen. Hoffentlich kennst du aus deiner Londoner Zeit noch ein paar Tricks, wie man ihnen aus dem Weg geht.«
    Sid lächelte gequält. »Ja, ein oder zwei, Maggie.« Es war schon schmerzhaft, bloß die Augen zu öffnen. Den Kopf zu drehen. Sich zu bücken, zu stehen oder einen Schritt zu gehen. Das Schlucken tat ihm weh, und als er vom Heck ins Wasser gepinkelt hatte, war Blut in seinem Urin gewesen.
    »Deine Kleider sind bloß noch Fetzen«, sagte Maggie. »John hat dir ein paar alte Sachen von sich gebracht. Sobald du halbwegs sauber bist, kannst du sie anziehen.«
    »Du und John, ihr beiden seid sehr gut zu mir, Maggie. Ich schulde euch was.«
    Maggie schüttelte den Kopf. »Du schuldest uns gar nichts, Sid Malone. Wie oft hast du uns denn aus dem Dreck gezogen? Mit all den Jobs für John. Ohne dich wären wir manchmal fast verhungert. Ich weiß nicht, wie ich die Kinder hätte durchbringen sollen ohne deine Hilfe.«
    »Wie geht’s deinen Kindern?«
    Maggie antwortete nicht gleich. »Den kleineren geht’s ganz gut«, sagte sie schließlich. »Es sind ja noch Kinder. Die älteren machen mir Sorgen. Mein ältestes Mädchen hat’s auf der Lunge. Und die beiden Jungs … na ja, die sind halt Jungs. Laufen ziemlich aus dem Ruder. Aber wen wundert’s bei dem, was sie zu sehen kriegen. Trotzdem hab ich mir früher Hoffnungen gemacht, dass sie’s mal besser haben als wir. Leider hat Madden unseren Johnnie schon im Visier. Ich will nicht, dass sich unser Junge mit ihm einlässt, aber es ist schwer, ihn von dem Mistkerl fernzuhalten. Er gibt ihm Schnaps. Und verschafft ihm Weiber, wie ich hör. Und er kommt sich wahnsinnig wichtig vor. Dabei ist dieser Dreikäsehoch erst fünfzehn, Sid. Aber er weiß es ja nicht besser. Er wird’s erst merken, wenn’s zu spät ist.«
    Sid sah die Sorgenfalten auf ihrer Stirn. »Kannst du ihn nicht wegschicken aus London?«, fragte er. »Schick ihn doch eine Weile zu Verwandten aufs Land.«
    »Wir haben keine Verwandten auf dem Land. Die leben alle in London«, antwortete sie. »So verrückt sich das auch anhören mag, aber ich finde, es wär das Beste, er ging zum Militär, sobald er sechzehn ist. Wenn dann noch Krieg ist. Er wär sicherer, wenn die Deutschen auf ihn schießen, als in der Nähe von diesem Madden.«
    Plötzlich hörten sie Schritte auf dem Deck – von zwei Leuten. Dann Stimmen. Maggie legte den Finger an den Mund. Sid erstarrte.
    »Alles in Ordnung, John?«, hörten sie einen Mann fragen. »Alles klar für heut Nacht?«
    »Sicher, Bert. Alles bestens«, antwortete John.
    »Ich geh dann wieder mal. Morgen früh übernimmt Harry. Er weiß Bescheid. Die Jungs sollten auch früh kommen. Madden hat mir gesagt, ich soll ihnen ausrichten, dass sie die Ware vor Tagesanbruch herbringen sollen.«
    »Ich bin da, wenn sie kommen. Bis dann, Bert.«
    »Bis dann, John. Schlaf gut.«
    Kurz darauf wurden Johns Beine sichtbar, der die schmale Leiter herunterstieg, die vom Deck in den Laderaum führte.
    »Die Luft ist rein«, sagte er und schloss die Luke über sich. »Das war bloß Bert, und der ist weg.« Dann sah er Sid an. »Also, einen Schönheitswettbewerb gewinnst du nicht mit diesem Gesicht, aber zumindest siehst du besser als vorher.«
    »Ich hätte auch keinen gewonnen, bevor mich Madden in die Mangel genommen hat«, erwiderte Sid.
    John setzte sich, griff in seine Jackentasche, zog etwas Geld heraus und legte es auf den Tisch. »Das sind zwei Pfund sechs Shilling. Mehr hab ich nicht zusammenkratzen können. Nimm’s. Und sieh zu, dass du heimkommst.«
    Sid war tief gerührt von der Großzügigkeit seines Freundes. Dieses Geld war vermutlich

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