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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Stimme in ihren Fieberträumen gehört und hörte sie immer noch – in ihren Albträumen.
    Sprich mit ihm, Fatima. Er hört auf dich. Sag ihm, wenn er ein Leben fordert, kann er meines haben. Ein Leben für ein anderes. Meines, nicht ihres. Sag ihm das, Fatima. Sag ihm, Willa am Leben zu lassen.
    Gott hatte Fatima erhört. Und ihn genommen.
    »Und Sie sind aus der Wüste direkt hierhergekommen? Nach Paris?«, fragte Oscar jetzt und riss sie aus den traurigen Erinnerungen.
    »Nein«, antwortete Willa und schüttelte den Kopf. »Ich blieb ein paar Tage bei meinem Bruder. Er war in Haifa stationiert. Dann ging ich nach England zurück. Ich wohnte bei meiner Mutter in London, aber London war grau, bedrückend und voller Gespenster. Wohin ich auch blickte, überall fehlte jemand. Auch dort blieb ich nur ein paar Tage und fuhr dann hierher, wo die Gespenster zumindest anderen Leuten gehören, nicht mir.«
    Sie sagte Oscar nicht, wie unglücklich ihre Mutter über ihre Abreise nach Paris war und dass sie Albie nachgeschickt hatte, um sie nach Hause zu holen, nachdem er aus Haifa zurück war. Er kam in ihre Wohnung, warf einen Blick auf sie und sagte: »Du willst dich wohl immer noch umbringen, was? Diesmal eben mit einer Nadel.« Und kehrte ohne sie nach London zurück.
    Oscar nahm einen Abzug, der eine Schauspielerin beim Abschminken zeigte. Willa hatte das Foto geschossen, als die Frau in den Spiegel in ihrer Garderobe blickte. Ihr Haar war zu Löckchen gesteckt, und ihre enormen Brüste sprengten fast das enge schwarze Korsett. Während sie weiße Abschminke auftrug, wirkte ihr Ausdruck prüfend und angespannt, als hoffte sie, der Spiegel könnte ihr verraten, wer sie sei.
    »Josephine Lavallier, L’Ange de l’Amour « , sagte Oscar.
    »Sie kennen sie?«, fragte Willa.
    »Ich denke, das tut ganz Paris. Dank diesem Foto, wo sie auf der Bühne des Bobino steht und außer einem Paar Flügel praktisch nichts trägt. Ich habe es vor ein paar Tagen im La Rotonde an der Wand hängen sehen. Haben Sie das auch gemacht?«
    Willa nickte. »Das Foto wurde in einer hiesigen Tageszeitung veröffentlicht. Der Herausgeber war außer sich, dass so etwas auf einer Pariser Bühne gestattet sei. Seitdem ist Josies Show ständig ausverkauft«, erzählte sie lachend. »Die Show ist tatsächlich ziemlich gewagt. Haben Sie sie gesehen?«
    Oscar verneinte, und Willa meinte, das müsse er unbedingt. »Wir gehen heute Abend hin. Ich nehme Sie mit. Haben Sie Zeit?«
    Oscar bejahte. Dann sei es abgemacht, sagte Willa. Zuerst würden sie im La Rotonde noch etwas essen.
    »Ich dachte, Sie hätten gesagt, die Show sei ständig ausverkauft. Kriegen wir denn noch Karten?«
    »Josie bringt uns rein«, erklärte Willa. »Wir sind ziemlich eng befreundet, Josie und ich. Wir kommen sehr gut miteinander aus. Tatsächlich haben wir einen Pakt geschlossen – keiner von uns darf über die Vergangenheit sprechen. Es gibt keine Vergangenheit, wenn wir zusammen sind, nur die Gegenwart. Wir sprechen weder über den Krieg noch über das, was wir verloren haben. Wir reden über Malerei, das Theater, was es zum Dinner gab, wen wir gesehen und was wir getragen haben. Das ist alles. Sie kommt eigentlich aus England. Wussten Sie das?«
    »Nein, ich hielt sie für so französisch wie Zwiebelsuppe.«
    Willa lachte. »Sie lässt mich hinter der Bühne fotografieren, sie selbst und ihre Kolleginnen. Ich nehme alles auf. Den Bühnenmanager. Die kleinen Gauner. Die Mädchen in ihren Kostümen. Die Romanzen und die Streitigkeiten. Als Gegenleistung bekommt sie Abzüge von mir.«
    Willa sah das Bild an, das Oscar in der Hand hielt, und lächelte. Sie war ziemlich stolz darauf. »Josie ist eine faszinierende Künstlerin. Obwohl sie Engländerin ist, verkörpert sie Paris, einen Ort, der zwar angeschlagen, aber nicht zerstört ist. Einen Ort, der immer noch schön, immer noch aufmüpfig ist.«
    Willa blickte noch eine Weile auf das Bild und meinte dann, sie sollten aufbrechen. Man holte Mäntel und Hüte. Auf dem Weg zur Tür stach Oscar ein weiteres Foto ins Auge. Es zeigte einen jungen Mann auf einem Berggipfel, und man hatte den Eindruck, die ganze Welt liege ihm zu Füßen.
    »Wo wurde das aufgenommen?«, fragte er.
    »Auf dem Kilimandscharo. Auf dem Mawenzi-Gipfel.«
    »Das ist er, nicht wahr? Der Marinekapitän?«
    »Ja. Es wurde aufgenommen, kurz nachdem wir den Gipfel erreicht hatten. Und kurz bevor ich abstürzte. Und mein Bein zerschmetterte.«
    Willa erzählte ihm

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