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Die Wildrose

Die Wildrose

Titel: Die Wildrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Paar alte Unterhosen. Ich weiß, dass du einer der führenden Wissenschaftler des Landes bist, aber, Albie, England kann doch sicher noch einen oder zwei Monate auf die Ergebnisse warten, an denen du herumdokterst?«
    »Nein, Tante Eddie, das kann England nicht«, erwiderte Albie. Er lächelte immer noch, aber in seiner Stimme lag eine gewisse Schärfe. Obwohl Albie sonst immer nur in höflichem, gelassenem Tonfall sprach.
    Niemand schien den Ausrutscher bemerkt zu haben, und Seamie fragte sich, ob er es sich nur eingebildet hatte. Jedenfalls beschloss er, Albie noch diese Woche auf eine Wanderung durch die Fens mitzunehmen, egal, wie sehr er sich auch sträuben mochte.
    Gedrängt von seiner Tante, erzählte Albie ein bisschen von seiner Arbeit und darüber, was die Physiker in der ganzen Welt im Moment am meisten beschäftigte: das Gerücht, dass Albert Einstein bald eine Reihe von Feldgleichungen veröffentlichen wollte, die eine neue allgemeine Relativitätstheorie stützen würden. Er war gerade dabei, die Geodätengleichungen zu erklären, als der Butler in der Tür erschien und sagte: »Entschuldigen Sie, Madam. Aber das Dinner ist serviert.«
    »Ach, Gott sei Dank«, seufzte Eddie. »Mir schwirrt schon der Kopf!«
    Alle erhoben sich, und Eddie ging ins Speisezimmer voran. Dort legte Mr Lawrence plötzlich die Hand auf Seamies Arm. »Vergessen Sie Clements Markham«, sagte er leise und herzlich. »Kommen Sie mich besuchen, Mr Finnegan. Sie sind nicht zu alt für Abenteuer, unmöglich. Denn wenn Sie es wären, wäre ich es auch. Und wenn das so wäre, wüsste ich nicht, was ich tun sollte. Ich wüsste nicht, wie ich leben sollte, und ehrlich gesagt, wollte ich das auch gar nicht. Verstehen Sie das?«
    Seamie nickte. »Das tue ich, Mr Lawrence. Nur allzu gut.«
    »Dann kommen Sie. Wärmen Sie Ihre kalten Glieder ein bisschen in der arabischen Wüste auf.«
    Eddie, die offenbar zugehört hatte, sagte: »Tom hat recht, Seamie. Vergiss Markham und Shackleton. Fahr in die Wüste. Wärm deine Knochen in Arabien.« Lächelnd fügte sie hinzu: »Und wenn du schon dabei bist, lass dabei auch gleich dein Herz auftauen.«

   6   
    V ier Pence, Mister. Sie werden’s nicht bereuen«, sagte das Mädchen mit dem roten Schal und lächelte verführerisch. Oder versuchte es zumindest.
    Mit vor Kälte hochgezogenen Schultern schüttelte Max von Brandt den Kopf.
    »Dann zwei. Ich bin sauber, das schwör ich. Ich geh erst seit einer Woche anschaffen.« Die aufgesetzte Keckheit war verschwunden, stattdessen hörte sie sich jetzt verzweifelt an.
    Max blickte ihr ins Gesicht. Sie war höchstens vierzehn. Ein Kind. Dünn und zitternd. Er zog ein Sixpence-Stück aus der Tasche und warf es ihr zu. »Geh heim.«
    Das Mädchen sah zuerst die Münze, dann ihn an. »Gott segne Sie, Mister. Sie sind ein guter Mensch.«
    Max lachte. Wohl kaum , dachte er. Er öffnete die Tür zum Barkentine und hoffte, das Mädchen hatte sein Gesicht nicht gesehen oder würde es sofort wieder vergessen, falls doch. Das Barkentine, eine Spelunke in Limehouse am Nordufer der Themse, war die Art von Lokalen, die Max von Brandt gelegentlich aufsuchen musste, aber dabei achtete er immer sehr sorgfältig darauf, dass ihn niemand sah. Er hatte sein Bestes getan, um nicht aufzufallen. Er trug schäbige Arbeiterkleidung, hatte sich seit drei Tagen nicht mehr rasiert und sein silberblondes Haar unter einer flachen Kappe versteckt. Schwieriger war es, die Bräune seines Gesichts zu verbergen oder dass seine Beine nicht von Rachitis verkrümmt waren. Das verdankte er gutem Essen und frischer Luft, und davon gab es im East End von London bedauerlich wenig.
    Im Innern des Pubs ging Max auf den Barkeeper zu. »Ich möchte zu Billy Madden«, sagte er.
    »So jemanden gibt’s hier nicht«, antwortete der Mann, ohne von den Wettberichten des Tages aufzublicken.
    Max sah sich um. Er wusste, wie Madden aussah. Er besaß ein Foto von ihm. Er wusste auch, wer Madden war: ein Dieb mit einer Werft – genau, was er brauchte. Er inspizierte die Gesichter im Raum. Viele hatten Narben. Einige ignorierten ihn, andere beäugten ihn misstrauisch. Er sah eine junge Frau, blond und hübsch – trotz der verblassenden blauen Flecken im Gesicht –, die allein an einem Fenster saß. Schließlich entdeckte er Madden, der im hinteren Teil des Lokals eine Patience legte, und trat an seinen Tisch.
    »Mr Madden, ich würde gern mit Ihnen sprechen.«
    Billy Madden blickte auf. Er trug ein

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