Die Wildrose
antwortete Albie. »Eines der Stephen-Mädchen war bei Ihnen. Virginia.«
»Ja, das stimmt«, erwiderte Lawrence.
»Freut mich, Sie wiederzusehen, Tom«, sagte Albie. »Ich hätte Sie nicht wiedererkannt. Die Wüste hat aus einem käsigen Engländer einen richtigen Goldjungen gemacht.«
Lawrence lachte herzlich. »Sie hätten mich vor ein paar Jahren sehen sollen«, sagte er. »Keineswegs golden, ich war rot wie ein Krebs und hab mich geschält wie eine Zwiebel. Wie geht’s Miss Alden? Ich habe ihre Fotos von Indien und China gesehen. Sie sind ziemlich bemerkenswert. Großartig, tatsächlich. Geht’s ihr gut?«
Albie schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte es Ihnen sagen. Leider habe ich keine Ahnung.«
»Wie soll ich das verstehen?«, fragte Lawrence verwirrt.
»Sie hatte einen Unfall. Vor ungefähr acht Jahren. Auf dem Kilimandscharo. Wo sie mit Mr Finnegan war«, antwortete Albie und sah Seamie dabei an. »Sie ist abgestürzt und brach sich das Bein. Es musste amputiert werden. Der Sturz hat ihr auch das Herz gebrochen, fürchte ich, denn sie ist nie mehr nach Hause zurückgekommen. Stattdessen ist sie in den Fernen Osten gereist. Nach Tibet. Dort lebt sie bei den Yaks und den Schafen und diesem verdammten großen Berg.«
Seamie wandte sich ab. Die Unterhaltung quälte ihn.
Das entging Lawrence nicht. »Ich verstehe. Ich fürchte, ich habe recht unsensibel einen wunden Punkt berührt. Bitte verzeihen Sie mir.«
Eddie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Seien Sie nicht albern. Da gibt es nichts zu verzeihen. Wir alle sind darüber hinweg. Nun, die meisten von uns jedenfalls.«
Seamie blickte aus dem Fenster. Meistens schätzte er Eddies aufrichtige Art, ihre offenen Worte, aber zuweilen wünschte er sich, sie würde wenigstens versuchen , etwas einfühlsamer zu sein.
»Warum steht ihr alle herum? Setzt euch«, befahl Eddie. »Albie, nimm diese Kissen … ja, diese da. Seamie, du setzt dich dorthin, neben Tom.« Im Flüsterton fügte sie hinzu: »Er ist ein Spion, weißt du. Dessen bin ich mir sicher.«
»Was für ein Unsinn, Eddie«, erwiderte Lawrence.
»Worüber reden Sie dann mit den Scheichs, Tom? Über Kamele? Und Granatäpfel? Das bezweifele ich. Sie reden über Aufstände. Rebellion. Über Freiheit von ihren türkischen Unterdrückern.«
»Wir reden über ihr Leben, ihre Vorfahren und ihre Sitten. Ich mache Fotos, Eddie. Von Ruinen, von Gräbern und Vasen und Schalen. Ich mache mir Notizen und zeichne.«
»Sie zeichnen Karten und schmieden Allianzen, mein Lieber«, widersprach Eddie.
»Ja. Na gut. Möchte jemand türkische Süßigkeiten?«, fragte Lawrence und reichte einen Teller mit gezuckerten Rosenwasser-Bonbons herum.
»Sagen Sie, Mr Lawrence, was hat Sie denn ursprünglich nach Arabien verschlagen?«, fragte Seamie taktvoll.
»Die Archäologie. Ich grabe gern altes Zeug aus. Schon während meiner Studienzeit ging ich nach Syrien, wo ich die Kreuzfahrerburgen erforschte, über die ich auch meine Abschlussarbeit geschrieben habe. Nach der Universität wurde mir bei D.G. Hogarth, einem Archäologen des Britischen Museums, eine Stelle angeboten. Die habe ich angenommen. Ich habe an vielen Ausgrabungen in der alten Hethiterstadt Karkemisch teilgenommen. Tatsächlich haben wir vermutlich beide Ufer des Euphrat umgegraben«, sagte Lawrence zufrieden.
»Ich weiß nicht, ob ich es in der Wüste aushalten würde«, sagte Seamie. »Die Hitze und all der Sand. Ich brauche Schnee und Eis.«
Lawrence lachte. »Ich verstehe Ihre Vorliebe für alles Unberührte und Kalte, Mr Finnegan. Auch ich mag Berge und Alpenlandschaften, aber die Wüste, Mr Finnegan … die Wüste.«
Lawrence schwieg einen Moment lang, lächelte hilflos und sah plötzlich aus wie ein Verliebter.
»Ich wünschte, Sie könnten das sehen«, fuhr er fort. »Ich wünschte, Sie könnten den Muezzin hören, der die Gläubigen zum Gebet ruft. Und die Sonnenstrahlen sehen, die in die Minarette einfallen. Ich wünschte, Sie könnten die Datteln und Granatäpfel aus einer üppig grünen Oase schmecken. Und nachts in einem Zelt der Beduinen sitzen und ihren Geschichten lauschen. Ich wünschte, Sie könnten die Menschen – die hoheitsvollen Scheiks und Sharifs – kennenlernen. Und die verschleierten Haremsdamen. Ich wünschte, Sie könnten Hussein, den Sharif von Mekka, und seine Söhne kennenlernen und ihren Hunger nach Unabhängigkeit erleben.« Plötzlich schüttelte er den Kopf, als wäre ihm die Tiefe seiner
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