Die Wildrose
mehr zuschulden kommen zu lassen, sonst würde dies ernsthafte Konsequenzen für ihn haben. Joe hatte Sid nicht persönlich getroffen, aber dessen Handlanger, Frankie Betts. Es kam zu einer schrecklichen Auseinandersetzung, bei der Frankie auf Joe schoss, weil er befürchtete, Sid könnte ihn und die anderen Mitglieder der Gang verlassen. Diese Tat hängte er Sid an, in der Hoffnung, auf diese Weise dessen Rückkehr in die bürgerliche Welt zu verhindern.
Sid – auf der Flucht und von der Kugel eines Polizisten verwundet – war eines Nachts in Fionas Haus aufgetaucht, um ihr zu sagen, dass nicht er auf Joe geschossen habe. Sie nahm ihn auf und versteckte ihn, bis er sicher aus London hinausgeschafft werden konnte. Er heuerte auf dem erstbesten Schiff an, das er finden konnte, auf einem Frachtschiff nach Afrika. Er hatte alles hinter sich gelassen: sein Leben, seine Familie und die Frau, die er liebte – eine junge, adlige Ärztin namens India Selwyn-Jones. Er hatte sie verlassen, weil er glaubte, sie habe ihn wegen eines Mannes ihrer eigenen Gesellschaftsklasse aufgegeben – wegen eines korrupten und herzlosen Politikers namens Freddie Lytton. India hatte Freddie aber nur geheiratet, weil sie glaubte, Sid sei tot, und weil sie dessen Kind erwartete, für das sie einen Vater brauchte, wenn auch nur auf dem Papier.
Sid und India hatten sich in Afrika wiedergetroffen. Sid lebte dort unter dem Namen Baxter, und Freddie, ein aufgehender Stern in der Kolonialverwaltung, war in Regierungsangelegenheiten dort hingeschickt worden. Als er feststellte, dass Sid noch am Leben war, ließ er ihn festnehmen und einsperren, damit er gehängt werde. Und dann hätte Freddie beinahe India und das Kind – ein Mädchen namens Charlotte – umgebracht, indem er die beiden allein im afrikanischen Busch zurückließ. Doch auf dem Rückweg zu seinem Bungalow war er selbst von Hyänen getötet worden. Mit Seamies Hilfe, der sich zu der Zeit ebenfalls in Afrika, am Kilimandscharo, befand, konnte Sid aus dem Gefängnis entfliehen, gerade noch rechtzeitig, um India und Charlotte zu retten. Er brachte sie in Sicherheit und machte sich dann aus dem Staub, weil er immer noch befürchtete, erneut verhaftet zu werden. In einer Nachricht, die er zurückließ, bat er sie, zu ihm nach Amerika, nach Kalifornien, zu kommen, wo India Land besaß. Dort würden sie ein neues Leben beginnen, versprach er. In Point Reyes an der Küste, wo sich Meer und Himmel vereinigten, an dem Ort, wo er und India früher einmal geplant hatten hinzugehen.
»Ich würde es nicht glauben, wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde«, sagte Seamie jetzt, als Fiona ihm das Foto reichte. Er blickte in die Gesichter der strahlenden Kinder, der wunderschönen Frau und des braun gebrannten, lächelnden Mannes. »Unser Bruder – glücklich verheiratet und Kühe züchtend.«
»Stiere«, sagte Joe.
»Kühe, Stiere … macht das einen Unterschied? Wenn er Narzissen züchten würde, wäre ich nicht weniger überrascht«, erwiderte Seamie.
»Er hat solches Glück gehabt«, sagte Fiona. »Dass er die Reise überlebt hat, die vielen Meilen durch Afrika, dann die Überfahrt nach New York und den Treck in den Westen.«
Seamie nickte. Er erinnerte sich, wie verzweifelt er auf eine Nachricht von seinem Bruder gewartet hatte. Sie alle hatten fast ein ganzes Jahr lang gewartet, bis schließlich ein Brief von India aus Point Reyes eintraf, in dem sie mitteilte, dass Sid zu ihr und Charlotte heimgekommen sei und dass es ihm gut gehe. Oder bald gut gehen würde.
Auf einem Pferd und mit praktisch nichts in der Tasche hatte er den ganzen afrikanischen Kontinent durchquert. Da er sein Gewehr bei sich hatte, konnte er jagen, was er zum Essen brauchte, sein Pferd graste, und Wasser gab es überall kostenlos. Etwa auf der Hälfte der Strecke bekam er Malaria. Stammesangehörige fanden und pflegten ihn. Er kam durch, und als er etwa einen Monat später wieder zu Kräften gekommen war, ritt er weiter nach Port Gentil. Dort verkaufte er sein Pferd und arbeitete in den Docks, bis er genügend Geld für die Überfahrt nach New York zusammenhatte. In den Staaten angekommen, arbeitete er wieder in den Docks, diesmal in Brooklyn, bis er das Geld für die Zugfahrt nach San Francisco gespart hatte.
Auch dorthin hätte er es fast geschafft, wurde aber in Denver auf dem Weg in ein billiges Hotel, wo er vor der Abreise in den Westen die Nacht verbringen wollte, überfallen und ausgeraubt. Wieder
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