Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
komplett. Schon jetzt – zehn Jahre nach der Wiederansiedlung – kann man die Veränderungen im Ökosystem sehen; die ganzen Folgen werden wohl erst in einigen Jahrzehnten absehbar sein.
In Yellowstone haben die Wölfe fast den ganzen Park (9000 Quadratkilometer) besetzt, sofern es für sie geeignetes Habitat gibt. Und auch über die Parkgrenzen hinaus, im Greater Yellowstone Ecosystem (GYE: 72 800 km²), haben sich Rudel niedergelassen. Die Wolfsrudel haben ganzjährige Territorien gegründet, unabhängig von den saisonalen Wanderungen ihrer Beutetiere.
Ihre Hauptbeutetiere sind große Huftiere. Zu den anderen Beutegreifern, die regelmäßig diese Tiere fressen, gehören Berglöwen und Schwarz- und Grizzlybären, deren Jagdmethoden sich jedoch von denen der Wölfe unterscheiden: Bären, die normalerweise Einzelgänger sind, schleichen sich an ihre Beute (Elche, Hirsche und Rehe, meist Kälber oder verletzte Tiere) heran, Pumas (ebenfalls Einzelgänger) greifen aus einem Versteck heraus an.
Auch Kojoten töten und fressen gelegentlich junge, alte und kranke Huftiere, ihre Hauptnahrung besteht jedoch aus kleineren Beutetieren.
Die Wölfe dagegen sind perfekt für ihre Beutegreiferrolle geschaffen. Kein anderer Fleischfresser kann diese Rolle einnehmen. Dadurch sind sie ein bedeutender Teil des Ökosystems.
Im Durchschnitt frisst ein Wolf im Winter etwa zwei bis drei Kilo Fleisch pro Tag. (Das bedeutet nicht, dass er jeden Tag so viel Fleisch braucht , sondern ist ein statistischer Mittelwert.) Jeder Wolf kann innerhalb kürzester Zeit leicht das Doppelte fressen oder aber auch bis zu vier Wochen ohne Nahrung auskommen. Der große Magen der Wölfe scheint für lange Fastenzeiten und anschließende Fressgelage wie geschaffen zu sein.
Die Häufigkeit der Tötung eines Beutetieres durch ein Wolfsrudel variiert enorm und hängt von vielen Faktoren ab einschließlich Rudelgröße, Vielfalt und Verletzlichkeit der Beute sowie Schneebedingungen und wie lange an einem Kadaver gefressen werden kann. Da die Größe der Beute variiert, vom kleinen Säugetier bis zum Bison, hängt die Tötungsrate für jede Tierart davon ab, wie viel Nahrung diese zur Verfügung stellt.
Die bevorzugte Nahrung der Yellowstone-Wölfe ist zu 88 Prozent Hirschfleisch. Im Durchschnitt tötet jedes Wolfsrudel alle drei Tage einen Wapiti. Das ist ein Durchschnittswert und hängt sowohl von der Rudelgröße ab als auch vom Alter der Beutetiere.
An zweiter Stelle des Lieblingsfutters der Wölfe stehen Maultierhirsche, die sich meist nur im Sommer im Park aufhalten. Danach kommen weit abgeschlagen Elche, Bisons, Gabelantilopen und schließlich noch Biber, Erdhörnchen und andere kleine Nager.
Aber die Wölfe töten nicht nur ihre Beutetiere, sondern auch ihre Nahrungskonkurrenten, insbesondere Kojoten.
Die Nahrungsaufnahme ist besonders wichtig für den Aufbau der nötigen Fettreserven für den Winter. Dies hat mehr Einfluss auf den Erfolg der Reproduktion als jeder andere Faktor. Es gibt dafür kein besseres Beispiel als die Yellowstone-Wölfe. Der bekannte Wolfsforscher Dave Mech nennt die Wölfe von Yellowstone »die fettesten Wölfe, die ich je gesehen habe«. Beim Einfangen und Besendern der Tiere habe er kaum die Hüftknochen des Wolfes fühlen können. Nach einer sehr reichhaltigen Mahlzeit hatte ein Wolf das Rekordgewicht von 70 Kilogramm, zehn mehr als der schwerste Wolf in Mechs Heimat Minnesota.
Die Reproduktionsrate der Wölfe in Yellowstone ist spektakulär – eine der höchsten Raten, die je notiert wurden –, insbesondere da in den Yellowstone-Rudeln häufig mehrere Weibchen Junge bekommen.
Bei ihrer Wiederansiedlung 1995 waren die Wölfe in der besonderen Lage, dass sie (zunächst) unbegrenztes Territorium mit ausreichend Beutetieren zur Verfügung hatten. Dies sowie der absolute Schutz, den sie im Park genießen konnten, machte ihre Situation einzigartig.
Schauen wir nun, welchen Einfluss die Rückkehr der Beutegreifer auf die einzelnen Beutetierarten und darüber hinaus auf das gesamte Ökosystem hat.
Wölfe und Hirsche
In Yellowstone kommt der nordamerikanische Hirsch (Cervus elaphus) von allen Säugetieren am meisten vor. Die ersten europäischen Siedler benutzten das Wort »Elk«, was in Nordeuropa »Elch« heißt, für das Tier. Das sorgt immer noch für Verwirrung bei europäischen Besuchern und gelegentlich auch bei Übersetzern amerikanischer Texte. Die Shawnee-Indianer nannten es »Wapiti«, was »weißer
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