Die Wohlgesinnten
besonders diensteifrig sein. Vor allem, weil er etwas auszubügeln hat. Schlussfolgerung: Wenn du einen offiziellen Antrag stellst, schickt man dich Gott weiß wohin, nur nicht nach Frankreich.« – »Was schlägst du also vor?« Thomas war wieder aufgestanden, und wir setzten unseren Spaziergang fort. »Hör zu, ich seh mal, was sich machen lässt. Aber es wird nicht leicht sein. Kannst du dich nicht selbst auch umtun? Du kennst doch Best recht gut: Er kommt regelmäßig nach Berlin. Frag ihn mal, was er davon hält. Über das Auswärtige Amt kannst du mühelos mit ihm Verbindung aufnehmen. Doch wenn ich du wäre, würde ich lieber andere Möglichkeiten ins Auge fassen. Vergiss nicht, dass wir Krieg haben. Da hat man nicht immer die Wahl.«
Bevor wir uns trennten, hatte Thomas mich noch um einen Gefallen gebeten: »Ich würde dich gerne mit jemandem bekannt machen. Einem Statistiker.« – »Von der SS?« – »Offiziell ist er Inspekteur für Statistik beim Reichsführer SS. Doch er ist ein Beamter, noch nicht einmal Angehöriger der Allgemeinen SS.« – »Das ist seltsam, oder?« – »Gar nicht so sehr. Der Reichsführer wollte sicherlich einen Außenstehenden haben.« – »Und was soll ich deinem Statistiker erzählen?« – »Er bereitet im Augenblick einen neuen Bericht für den Reichsführer vor. Eine Gesamtschau des jüdischen Bevölkerungsrückgangs. Aber er bezweifelt die Zahlen in den Berichten der Einsatzgruppen. Ich habe schon mit ihm gesprochen, würde es aber gern sehen, wenn du das noch einmalmit ihm durchgehst. Du warst ja näher dran als ich.« Er kritzelte eine Adresse und eine Telefonnummer in ein Notizbuch und riss die Seite heraus: »Sein Büro ist gleich nebenan, im SS-Gebäude, aber er steckt ständig in der IV B 4 bei Eichmann. Weißt du, wer das ist? Da wird alles archiviert, was mit dieser Frage zu tun hat. Die haben jetzt ein ganzes Gebäude für sich.« Ich sah mir die Adresse an, es war die Kurfürstenstraße: »Ah, das ist in der Nähe meines Hotels. Sehr schön.« Die Unterhaltung mit Thomas hatte mich deprimiert, ich hatte den Eindruck, in einem Sumpf zu versinken. Aber ich wollte mich nicht aufgeben, ich musste mich wieder in den Griff bekommen. Also rief ich diesen Statistiker an, einen gewissen Dr. Korherr. Sein Sekretär gab mir einen Termin. Das Gebäude, in dem die Abteilung IV B 4 residierte, war ein schönes vierstöckiges Natursteingebäude aus der Gründerzeit: Keine andere Abteilung der Geheimen Staatspolizei verfügte meines Wissens über eine solche Dienststelle, ihr Tätigkeitsbereich musste kolossal sein. In die Eingangshalle, einen schlecht beleuchteten, gruftartigen Raum, gelangte man über eine Marmortreppe; Hofmann, der Sekretär, erwartete mich, um mich zu Korherr zu führen. »Das ist ja gewaltig hier«, meinte ich, als ich mit ihm eine andere Treppe hinaufstieg. »Ja. Das ist ein altes Logenhaus der jüdischen Freimaurer, natürlich beschlagnahmt.« Er führte mich in Korherrs Büro, ein winziges Zimmer, vollgestopft mit Kartons und Akten. »Entschuldigen Sie die Unordnung, Herr Sturmbannführer. Das ist nur ein provisorisches Büro.« Dr. Korherr, ein kleiner griesgrämiger Mensch, trug Zivil und gab mir die Hand, statt den deutschen Gruß zu entbieten. »Setzen Sie sich doch bitte«, sagte er, während Hofmann sich entfernte. Er versuchte, einen Teil der Papiere von seinem Schreibtisch zu räumen, gab es dann aber auf und ließ alles, wie es war. »Der Obersturmbannführer hat es wirklich sehr gut gemeint mit seiner Dokumentation«, murmelte er,»aber von Ordnung kann da wahrhaftig keine Rede sein.« Er hörte auf zu kramen, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Ist Obersturmbannführer Eichmann hier?«, fragte ich. »Nein, er ist auf Dienstreise. Kommt aber in einigen Tagen zurück. Hat Obersturmbannführer Hauser Ihnen erklärt, was ich hier tue?« – »In groben Zügen.« – »Jedenfalls kommen Sie etwas spät. Ich habe meinen Bericht schon fast fertig, schließlich muss ich ihn in einigen Tagen abgeben.« – »Was kann ich dann für Sie tun?«, gab ich etwas gereizt zurück. »Sie waren im Einsatz, nicht wahr?« – »Ja. Zuerst in einem Kommando …« – »Welchem?«, unterbrach er mich. »4a.« – »Ach ja. Blobel. Gute Resultate.« Ich vermochte nicht zu erkennen, ob er es ernst oder ironisch meinte. »Dann war ich beim Gruppenstab D, im Kaukasus.« Er verzog das Gesicht: »Aha, aber das interessiert mich weniger. Die Zahlen waren
Weitere Kostenlose Bücher