Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
einem Krieg gewesen wären – einfach leer. Nur die Menschen waren fort.
Das also war die Welt, die Baba Jaga wollte.
Stumme, graue Hochhausblocks standen wie Titanen da, die eine Totenstadt bewachten. Ein Krähenschwarm flog als Wolke schwarzer Federn auf und krächzte, verärgert über Billis Ankunft; die Rufe klangen durchdringend und schrill. Abgesehen davon waren die Straßen gespenstisch leer. Die schneebeladenen Äste der Bäume, die die Straße säumten, neigten sich über sie, und ihre Zweige schrammten über das Dach des Lieferwagens. Die Baumwurzeln waren durch den Asphalt gebrochen, und die Straße war mit Schlaglöchern von Teichgröße übersät; in jedem funkelte dunkles Eis. Autos standen verlassen da und rosteten. Ihre Motorhauben waren geöffnet: Motoren, Reifen und Sitze waren allesamt entfernt worden.
Der Lieferwagen hielt an. Ein großer Schatten ragte drohend vor der Frontscheibe auf, und die Luft erzitterte von einem furchterregenden Brummen.
Ein riesiger schwarzer Bär mit braunen Knopfaugen stand mitten auf der Straße. Olga ließ den Motor laufen und stieg aus dem Wagen. Der Bär ließ sich auf alle viere nieder; sogar jetzt war er noch größer als die Frau. Er kam näher herangetrottet und hob den Kopf, um sie zu beschnuppern.
Olga stand einfach da und beobachtete ihn.
Der Bär richtete sich auf die Hinterbeine auf, so dass er sie weit überragte. Er legte den Kopf in den Nacken und brüllte.
Billi warf Iwan einen Blick zu. Er war hinten gewesen, um die Waffen zu inspizieren, während Wassilissa sich mittlerweile nach vorn gesetzt hatte. Er zog die Augenbrauen hoch.
»Na?«, flüsterte er. Er beugte sich vor, legte den Pistolenlauf auf die Rücklehne des Sitzes und zielte auf die Windschutzscheibe. Wassilissa saß dicht an Billi geschmiegt. Das kleine Mädchen streckte die Hand aus, berührte das Glas und starrte das riesenhafte Wesen mit offenem Mund bewundernd an.
»Olga weiß, was sie tut. Glaube ich zumindest.«
Dann fiel der Bär wieder auf alle viere und schlenderte davon, in die Wälder. Billi stieg aus und ging zu Olga.
»Was sollte das alles?«, fragte sie, nachdem ihr Herzschlag sich wieder normalisiert hatte.
»Er ist der König hier. Er wollte nur sichergehen, dass wir das auch wissen«, sagte Wassilissa durchs Autofenster.
Iwan sprang hinten aus dem Wagen und schwenkte seine Pistole. »Wir hätten ihn auch hiermit verscheuchen können. Das wäre schneller gegangen.«
Olga blickte finster drein. »Das kann auch nur ein Mensch denken!«
Sie fuhren noch eine Viertelstunde weiter, rollten langsam die stillen Straßen entlang.
»Wo sind wir?«, fragte Billi.
»In einer der vorgelagerten Städte.« Olga wies vor sich. »Der Reaktor liegt in der Richtung, ein paar Kilometer entfernt.«
Billi sah sich in der Umgebung um. Die Stadt war nicht besonders dicht bebaut; jeder Wohnblock hatte reichlich Platz um sich. Ganz gleich, aus welcher Richtung der Angriff erfolgte, sie würde ihn kommen sehen.
»Halt hier an«, sagte Billi.
Olga fuhr an den Straßenrand. Vor ihnen befand sich ein hohes, zweiflügliges Eisentor, hinter dem ein einfacher Vergnügungspark lag.
Billi schlenderte hindurch. Die gelben Gondeln des Riesenrads waren mit Schnee gefüllt. Kristallfunkelnder Efeu hatte die rostigen Stahlstützen des Hauptgestells überwuchert, und der Stahl knarrte im Wind. Etwas weiter entfernt waren die Autoscooter. Das Dach war längst zusammengebrochen, und lange Streifen einer Plastikplane und Holzstücke lagen über den Scootern verstreut.
Gegenüber vom Park befand sich ein Schulgebäude. Es war etwa acht Stockwerke hoch und würde ihnen einen guten Blick auf die Umgebung gestatten. Wassilissa schloss sich Billi an, und sie gingen hinein, um es zu erkunden. Die Türen waren nicht mehr vorhanden, also traten sie über die niedrige Schwelle direkt in einen Klassenraum. Die Farbe an den Wänden und auf den Tischen war verblasst und blätterte ab. Es gab Poster alter Sowjetführer, eine große, gerahmte Landkarte der UdSSR in verblasstem Rot und Zeichnungen, die die Kinder angefertigt hatten, größtenteils von Raketen und Astronauten. Kleine Gummigasmasken hingen an den Garderobenhaken.
Sie gingen an der Kinderkrippe vorbei, die noch voller Erste-Hilfe-Poster und alter Bettchen war, und fanden die Treppen, die nach oben führten. Billi erstarrte, als ein Schatten sich auf der Wand abzeichnete. Sie schob Wassilissa hinter sich.
Die Silhouette eines kleinen Mädchens
Weitere Kostenlose Bücher