Die Wolkenreiter Bd 3 - Herrscherin der Lüfte
ihm nicht, dass er mit seiner Tat einen Krieg verhindern kann?«
Jimmieh schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er traurig. »Winnih liebt Geld.«
»Nun, denn«, erwiderte Amelia mit gespielter Überzeugung. »Mein Vater wird ihn bezahlen, wenn wir bei der Marinan ankommen.«
Jimmieh lief weiter, warf ihr über die Schulter jedoch einen zweifelnden Blick zu. »Ich weiß nicht, Meisterin Amelia. Aber Winnih ist der Einzige mit einem Boot, den ich kenne.«
»Ich werde ihn wohl überzeugen müssen.« Sie berührte zur Stärkung das Amulett auf ihrer Brust.
»Ja«, bestätigte Jimmieh. Er versicherte sich, dass die Straße frei war, führte sie darüber hinweg und hinunter zum Anleger. Das Boot wirkte nicht gerade einladend. Die Kabine war kaum mehr als ein Schuppen, und bis auf den weißen Widderkopf mit den gebogenen Hörnern war alles schäbig grau. Auf allen Seiten ragten Stangen zum Fischen heraus. Das nahm Amelia zumindest an, obwohl sie von ih ren Hauslehrern nicht viel über diesen Beruf gelernt hatte. Mahagonis Hufe klapperten hohl auf der Promenade. Als sie auf den Steg abbogen, wo Winnihs Boot lag, wich er ängstlich zurück. Amelia drängte ihn vorwärts, allerdings
nur langsam, denn sie hatte Angst, dass er ausrutschen könnte. Kaltes Salzwasser spritzte von unten gegen den Steg und sprühte feinen Nebel durch die Planken. Alles roch nach Salz, Fisch und Öl.
Aber sie roch ja selbst auch etwas seltsam, dachte Amelia ironisch. Schließlich hatte sie seit Tagen weder ein Bad noch ein Bett gesehen.
Sie folgte Jimmieh ans Ende des Stegs und wartete mit Mahagoni, während der Junge an Bord kletterte und an die Kabinentür klopfte. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser am Horizont und ließ die Gebäude der Weißen Stadt erstrahlen. Amelia legte einen Augenblick den Kopf zurück, schloss die Augen und ließ ihre Lider und Wangen von der Sonne wärmen. Sie lehnte sich an Mahagonis warmen Körper. Er senkte das Kinn über ihre Schulter und blies zärtlich durch die Nüstern.
»Es ist bald vorbei«, sagte sie sanft. »Noch ein Schritt, Mahagoni. Mein Vater ist direkt dort drüben …«
Sie öffnete die Augen, um über die Bucht zur Marinan hinüberzusehen. Sie stellte sich das beherrschte Gesicht ihres Vaters vor, sein ruhiges Auftreten und wie er auf seine besonnene, autoritäre Art den Männern Befehle erteilte. Die Sehnsucht schnürte ihr den Hals zu. Sie schluckte und streckte ihren Rücken. Ihr Vater wäre enttäuscht, wenn er sähe, dass ihre Augen geschwollen waren oder er Spuren von Tränen auf ihren Wangen entdeckte. Sie würde sich zusammenreißen, genau wie er es immer tat. »Nur noch ein kleiner Schritt«, wiederholte sie, und Mahagoni schnaubte leise an ihrer Wange.
Jimmieh trat aus der Tür mit dem runden Bullauge. Hinter ihm erschien ein Mann, der kaum größer als der Junge war. Er musste einst die gleichen rotbraunen Haare gehabt
haben, doch die Farbe war zu einem matten Braun verblasst. Ähnlich wie Larks Ziege aus dem Hochland trug er ein spärliches Spitzbärtchen.
Er kletterte auf den Steg, stellte sich neben Jimmieh und blinzelte Amelia und Mahagoni an. »Das ist sie«, erklärte Jimmieh. Sein Onkel nickte, wobei das Bärtchen zitterte und Amelia nur noch mehr an Molly die Ziege erinnerte. Er machte einen Schritt nach vorn, woraufhin Mahagoni schnaubte und zurückwich. »Diese Pferde mögen keine Männer«, erklärte Jimmieh, und sein Onkel blieb stehen, wo er war.
Amelia stand so aufrecht wie möglich, strich ihr Wams glatt und hoffte, dass ihre Haare immer noch mehr oder weniger in ihrem Reiterknoten steckten. »Ich bin Amelia Riehs«, stellte sie sich vor. Es schien ihr angebracht, nicht den Namen Meister zu gebrauchen, sondern den ihres Vaters.
»Das Mädchen aus Kleeh?«, fragte der Mann.
»Das ist richtig, Meister … Meister Winnih. Ich bin die Tochter aus Kleeh, nun Schülerin der Wolkenakademie. Ich muss irgendwie zu diesem Schiff kommen.« Sie zeigte auf die Marinan, und alle drei drehten sich gleichzeitig zu dem Schiff um, als sähen sie es erst jetzt.
Die weißen Segel und der sorgfältig blau gestrichene Rumpf beleidigten das schäbige Boot, das zu Amelias Füßen schaukelte. An Seilen hingen die Beiboote, bereit, zu Wasser gelassen zu werden. Die schwarzen Umrisse der Kanonen waren auf die Stadt gerichtet. Es waren mindestens ein halbes Dutzend, die finster an die eigentliche Bestimmung des Schiffes erinnerten.
Winnih spuckte in das Wasser unter dem Steg. »Kleeh«,
Weitere Kostenlose Bücher