Die Würde der Toten (German Edition)
hast du gemacht, dass du dich verstecken musst?«
»Ist doch scheißegal, was ich gemacht habe! Es sind immer noch dieselben, verstehst du? Dieselben Schulden, dieselben Leute! Henry, hilfst du mir?«
Sie kämpfte einen Augenblick, ballte die Fäuste, biss die Zähne aufeinander, rollte dann resigniert die Augen. »Was soll ich tun?«
»Ich brauche Geld. Ich muss verschwinden.«
»Wo bist du denn?«
»Das werde ich dir nicht sagen. Ich kann niemandem trauen.«
»Du tickst ja wohl nicht richtig! Traust mir nicht, aber mein Geld nimmst du schon?«
»Ich werde alles wieder gutmachen. Irgendwann, ich schwöre! Dann zahle ich dir alles zurück und Vater auch. Es ist nur diese verdammte Pechsträhne. Aber bald habe ich das Geld, dann kann ich uns da wieder rausholen. Bestimmt. Dreitausend, Süße, kannst du mir die beschaffen, bis Sonntag?«
»Wofür, Jürgen? Was ist es diesmal? Fußball, Pferde? Oder bist du schon bis zu den Hundekämpfen abgestiegen? Wenn du mit dem Geld jemanden auszahlst oder wirklich das Land verlässt, kriegst du es, aber nicht für das nächste Glücksspiel!«
»Das ist eine todsichere Sache, Henry! Diesmal weiß ich es hundertprozentig, da kann gar nichts …«
Sie drückte auf den Knopf und legte das Handy beiseite. Kann gar nichts schiefgehen. Wie oft hatte er das gesagt? Damals schon, als sie ihn kennengelernt hatte. Das ganze Leben war ein einziger hundertprozentiger Tipp, bei dem er nur gewinnen konnte. Und dennoch ging es immer schneller und tiefer bergab.
* * *
Eigentlich hätte er Henry einfach anrufen können. Aber Adrian hielt es für besser, ihr die Fakten auf dem Papier zu präsentieren. Handfeste Beweise sozusagen. Also musste sie bis zum Feierabend warten.
Vom Präsidium fuhr er auf der Miquelallee stadtauswärts, dann auf die A66 Richtung Nordwestkreuz und Eschborner Dreieck. Die ganze Stadt schien ihm eingekesselt von Autobahnauf- und Autobahnabfahrten. Er zählte sieben auf den wenigen Kilometern, bis er Höchst erreicht hatte. Dabei war er nicht sicher, keine übersehen zu haben.
Dem schnörkeligen Schriftzug an der Fensterscheibe »Pietät Moosbacher & Sohn« sah man an, dass der Zusatz nachträglich aufgeklebt worden war. »& Sohn« verfügte noch über einen leichten Glanz und eine intensivere Farbe, während die ersten beiden Wörter schon lange der Sonne ausgesetzt gewesen waren. Der in engen Falten geraffte Vorhang, eierschalenfarben, erinnerte an ein spießbürgerliches Siebziger-Jahre-Schlafzimmer.
Adrian parkte direkt vor dem Eingang auf dem Bürgersteig. Drinnen brannte Licht, und er erkannte deutlich die Umrisse zweier Personen. Dem alten Herrn wollte er ungern begegnen, denn auch wenn der nichts sagte, so fühlte Adrian doch, dass seine häufigen Besuche ihn irritierten.
Durch das unverschlossene Tor gelangte er in den Hof. Im vorderen Bereich erstreckte sich uraltes Kopfsteinpflaster mit breiten abgesenkten Furchen. Hier stand der unvermeidliche Leichenwagen, ohne Werbeaufdruck zwar, aber durch den schwarzen Stoff an den Scheiben unschwer als solcher zu identifizieren. Im hinteren Hofteil war das Pflaster großflächig herausgerissen. Steine stapelten sich unordentlich entlang einer alten Holzbaracke. Die Reste einiger Blumenbeete ließen sich unter Baumaterial und Abrissschutt nur noch erahnen. In der Brachfläche sammelte sich Wasser in schlammigen Pfützen. Holzplanken überbrückten den Zugang zum Schuppen, dessen Tür offen stand. Undeutlich konnte Adrian im Inneren den Scherenwagen ausmachen, mit dem Henry die Särge transportierte.
Hinter der Sumpflandschaft hatte man begonnen, ein Gebäude zu errichten. Die beiden großen Öffnungen im Erdgeschoss deuteten auf eine Garage für mindestens drei, vielleicht auch vier F ahrzeuge hin, daneben eine weitere Tür und ein Fenster. Vom ersten Stock war bisher nur der Ansatz erkennbar. Großzügig im Grundriss. Adrian konnte sich nicht erinnern, in den letzten Tagen Baulärm gehört zu haben. Aber wahrscheinlich waren die Fenster und Türen im Bestattungsunternehmen gut gedämmt, um Trauernde vor neugierigen Ohren zu schützen. Der Regen setzte erneut ein. Er zog den Kopf zwischen die Schultern und beeilte sich, über die Kellertreppe neben dem Aufzug hinunter in Henrys Reich zu kommen.
Der Versorgungsraum war bereits fein säuberlich aufgeräumt. Henry hockte auf dem Arbeitstisch halb hinter der Tür verborgen, so dass er zuerst nur ein über dem Boden baumelndes Bein von ihr sah.
»Jetzt ist er
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