Die Würde der Toten (German Edition)
Radkreuz in der Hand.
»Was zum Teufel haben Sie vor?« Henry hörte, wie ihre Stimme kippte. »Das wollen Sie doch nicht wirklich machen!«
Westermann lachte und bremste seine Helfer durch ein simples Fingerschnippen. »Sie haben Recht. Wir sollten Ihren schönen Arbeitsplatz nicht unnötig verschmutzen. Wenn wir ihn vorher ausbluten lassen, sparen wir uns hässliche Flecken an den Wänden. Wie lange würde das dauern?«
Henry keuchte und starrte ihn entsetzt an.
»Zu lange? Dann brauchen wir wohl eine Plastiktüte, Frau Körner, eine große. Vielleicht auch zwei.« Auffordernd schaute er sie an. »Heute noch!«
Ihre Hände waren eiskalt, als sie aus dem Schrank eine Rolle mit blauen Müllsäcken holte, die Bolek übers ganze runde Gesicht grinsend in Empfang nahm.
»Nun stellen Sie sich nicht so an. Der Mann ist schon tot, er wird nichts spüren.«
Zu zweit verpackten sie den Toten in Plastik und verschnürten die Säcke, damit sie nicht verrutschten. Dann holte Lolek mit dem Radkreuz aus. Er erstarrte mitten in der Bewegung, als Henry aufschrie. Westermann packte sie grob am Arm.
»Was denn? Sind Sie etwa empfindlich?« Ärgerlich schubste er sie vorwärts in Boleks Arme. »Sperr sie ein, bis er mit dem Puzzle fertig ist. Und du«, fügte er an Lolek gewand hinzu, »gib dir Mühe! Es dürfen nur kleine Knochenstücke übrig bleiben, verstanden?«
Bolek zerrte Henry durch den Raum, stieß sie in die Kühlkammer und warf hinter ihr die Tür zu. Sie schlug mit dem Hinterkopf hart gegen die Wand. In der Dunkelheit leuchtete nur das rote Kontrolllämpchen der Kühlanlage. Sechs Grad Celsius.
Das erste dumpfe Krachen aus dem Versorgungsraum erwischte sie unvorbereitet. Obwohl sie es erwartet hatte, zuckte sie zusammen und presste die Hände auf den Mund, um nicht wieder loszuschreien, dann rutschte sie mit dem Rücken an der Wand abwärts und schlang die Arme fest um den Kopf. Doch sie spürte die Erschütterung jedes einzelnen Schlages, und die Tränen ließen sich nicht länger aufhalten.
* * *
Adrian hasste den Gedanken, dass Henry ihn belog. Aber er war sicher, dass es so war. Also bearbeitete er wieder seinen Computer . Seine eigentliche Arbeit erledigte er mit verbissenem Eifer im Schnellverfahren. Sobald er ein paar Minuten freigeschaufelt hatte, machte er an der Stelle weiter, an der er schon einmal angesetzt hatte. Kampfsport. Die Sache mit dem Free Fight ließ ihn nicht los, und er rief erneut sämtliche Seiten zu dem Thema auf, die er abge speichert hatte. Das verbale Duell, das Presse und Politik so heftig ausgetragen hatten, bezog sich auf eine Veranstaltung im angrenzenden Regierungsbezirk Darmstadt. Möglich, dass es einen Zusammenhang gab. Aber da das potentielle Mordopfer in Frankfurt gelandet war, beschloss er, sich zunächst auf hiesige Sportstätten zu konzentrieren. Es gab eine Vielzahl von Möglichkeiten, die es einzugrenzen galt. Allein die offiziellen Boxsportseiten konnte er unmöglich überblicken. Dazu der ganze asiatische Bereich. Stilrichtungen, die er kaum auszusprechen vermochte. Auch die Eingrenzung der Suche auf Frankfurt brachte immer noch eine Menge Ergebnisse. Adrian ließ ein grimmiges Lachen hören. Sein erster blauäugiger Eingabeversuch bescherte ihm über 84.000 passende Internet-Seiten. Wieso stellte er sich plötzlich an wie ein Anfänger? Er präzisierte die Suchparameter. Schloss zunächst sämtliche Fitnesstempel aus, die dem Namen nach vor allem auf weibliche Kunden zielten oder einen ganzheitlichen und rein gesundheitsbezogenen Charakter hatten. Blieben Kampfsport, Bodybuilding, Boxen. Wahllos pickte er Daten aus dem Netz. Folgte einzig seinem Bauchgefühl. Dann überflog er das Sparten-Angebot und wählte all jene, bei denen etwas Exo tischeres als Judo stand. Eine Website nach der anderen flimmer te über den Bildschirm. Er hatte keine Ahnung, wie er das Problem weiter eingrenzen sollte.
Dragontiger-Sports-Gym. Sein Finger schlug auf die Return-Taste, während er den letzen Tropfen Kaffee aus der Tasse schlürfte. Das Logo sprang ihn an. Über den Tassenrand. Zwei Tierköpfe, die miteinander verschmolzen: Nach links spuckte ein Drache Feuer, nach rechts fletschte ein Tiger seine Zähne. Hastig knallte er die Tasse auf den Tisch und wühlte aus der zweiten Schreibtischschublade den Umschlag mit den von Henry geschos senen Fotos hervor. Beim dritten Bild wurde er fündig. Auf dem linken Oberarm, unterhalb der vermutlich ausgerenkten Schulter prangte das
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