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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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trugen sie, in fast aufrechter Position, einen Leichensack. Mit Inhalt.
    »Was wollen Sie?«, wiederholte Henry ihre Frage nicht weniger unfreundlich als zuvor, aber merklich nervöser.
    Westermann bedeutete seinen Helfern, ihre Fracht abzulegen, die daraufhin unsanft zu Boden ging. »Man hat mir zugetragen, dass Sie heute Morgen eine Krematoriumsfahrt vor sich haben. Und wir hätten da noch eine Kleinigkeit, die Sie für uns mitnehmen sollen.«
    Henry fixierte den Sack. »Wer ist da drin?« Ihr Herz raste, aber sie versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, verschränkte die Arme, um das Beben ihrer Hände zu verbergen.
    »Das muss Sie nicht interessieren. Also, Frau Körner, wo ist denn Ihr Kunde?«
    Sie deutete vage zum Kühlraum. »Was haben Sie vor?«
    Lolek und Bolek holten den Sarg aus der Kühlung.
    »Was soll das werden? Sie können doch nicht einfach die Toten austauschen! Was soll dann mit der echten Leiche passieren?«
    »Beruhigen Sie sich, Frau Körner. Ich habe nicht vor, irgendjemanden auszutauschen.« Alfred Westermann zeigte seine blendend weißen Zähne und schnippte ein Stäubchen von seinem Jackett. »Aufmachen«, wies er Lolek und Bolek an, die die Verschraubungen lösten und den Sargdeckel abnahmen, um den Leichnam auf den Tisch zu legen.
    »Aufhören!« Ohne zu überlegen sprang Henry nach vorne und schlug auf die beiden ein, was Westermann sichtlich amüsierte.
    »Aber Frau Körner, wer wird denn hier Gewalt anwenden? Der Mann muss nur ein bisschen Platz machen. Und der Gute hier«, er stieß mit dem Fuß gegen den Leichensack, »wird ihm auf seinem letzten Weg Gesellschaft leisten.«
    »Das funktioniert nicht.« Henry schüttelte den Kopf. »Sie haben keine Ahnung wie das abläuft im Krematorium, was? Ein Amtsarzt öffnet den Sarg und nimmt eine zweite Leichenschau vor! Wenn Sie den nicht auch erpressen, wird er wohl kaum darüber hinwegsehen können, dass da eine Leiche zu viel drin ist.«
    Westermann verzog ärgerlich das Gesicht und trat näher heran. Er deutete auf das weiße Tuch, mit dem der Sarg ausgekleidet war. »Was ist da drunter?« Mit prüfendem Blick umrundete er den Sarg, nahm mit beiden Händen grob abschätzend Maß und nickte Lolek und Bolek zu.
    »Raus mit dem Plunder«, kommandierte er, ehe Henry antworten konnte. Sofort machten sie sich daran, die Innenausstattung herauszureißen. »Vorsichtig, Männer! Einen Teil des Stoffs braucht Frau Körner nachher noch. Soll doch wieder hübsch aus sehen für den Amtsarzt, wenn wir das neue Polster eingesetzt haben.«
    Triumphierend baute er sich vor ihr auf. »Man muss nur wollen, Frau Körner. Merken Sie sich das!«
    »Selbst wenn Sie das hinkriegen …«
    »Oh, das werden wir, dank Ihrer Hilfe!«
    »Selbst wenn – spätestens sobald die Asche entnommen wird, fällt es auf.« Nur mit Mühe behielt Henry ihre Stimme unter Kontrolle.
    »Sie meinen die Menge?«
    »Nicht alle Knochen verbrennen restlos. Ein paar überzählige Rippen werden vielleicht übersehen und wandern mit in die Knochenmühle, aber ein zweiter Schädel?«
    Westermann spitzte die Lippen und rieb sich das Kinn. »Das ist schlecht. Das fällt auf Sie zurück. Wäre gar nicht gut für unsere gemeinsamen Geschäfte.«
    Er schob die Hände in die Hosentaschen und klimperte darin ungeduldig mit ein paar Münzen herum. Dann lächelte er Henry an. In einem anderen Augenblick hätte dieses Lächeln vielleicht freundlich gewirkt. Sympathisch. Er war ein gut aussehender Mann. Ganz nah brachte er sein Gesicht vor ihres: »Es kommt doch nur auf die Größe an, nicht wahr?«, wisperte er in anzüglichem Ton. Ruckartig wandte er sich ab. »Kleinere Knochenstücke verbrennen oder sind auf die Schnelle nicht eindeutig zuzuordnen, richtig?«
    Er winkte den, den sie Lolek getauft hatte, zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin dieser mit dem Aufzug nach oben fuhr. »Problem beseitigt«, verkündete Westermann zufrieden und tippte Henry auf die Schulter. »Wie ich schon sagte, es gibt immer eine einfache Lösung.«
    Sie zwang sich, seine Hand nicht wegzustoßen und kommentarlos abzuwarten. Bolek führte derweil das Zerstörungswerk fort und verteilte Stoff und Füllmaterial auf dem Boden.
    Kurz darauf kehrte Lolek zurück, mit einem Radkreuz, das er auf Henrys Arbeitstisch ablegte. Gemeinsam hoben die Männer den Verstorbenen zurück in den ausgeräumten Sarg, öffneten den Leichensack und packten den Fremden auf den Versorgungstisch. Lolek wiegte prüfend das

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