Die Würde der Toten (German Edition)
brauchst, bin ich da. Nur, verlange nicht von mir, dir Trauer vorzuspielen. Elisabeth war eine Belastung, sie war alt und bösartig, sie war schwer krank und hatte schon lange nichts mehr vom Leben. Auch, wenn das immer ein bisschen platt klingt, aber ihr Tod war vermutlich eine Erlösung für sie. Und auch für dich, wenn du ehrlich bist.«
Erlösung. Sie hatte Recht. Elisabeths Tod bedeutete seine Freiheit. Eine Freiheit, die ihm längst zugestanden hatte. Katjas gradlinige Offenheit vertrieb die letzten Zweifel aus seinem Kopf. Er zog ihre Hand an die Lippen und drückte einen Kuss darauf. Sie rückte seine Welt wieder zurecht, brachte ihm die gewohnte Selbstsicherheit zurück.
Es gab nicht den geringsten Grund, über Elisabeths Geschichte nachzugrübeln oder an Gunther von Bragelsdorf zu denken. Und schon gar nicht an den anderen Mann in ihrem Leben.
Katja war hier, seinetwegen, nur das zählte. Sie war seine Zukunft. Er lächelte eine Spur zu breit, zu souverän. »Die Sache ist bald erledigt. Mach dir keine Gedanken um mich. Denn, weißt du, ich bin erwachsen, das haut mich nicht um. Also danke für das Angebot, aber ich schätze, Hilfe werde ich nicht brauchen. Es sind nur noch ein paar Kleinigkeiten zu klären, den Rest überlasse ich dem Bestatter. Vergessen wir das. Es tut einfach gut, dass du da bist.«
Seine Arme schlossen sich um ihre Schultern, ihr Körper wurde weich und sie schnurrte wie eine Katze, als er ihren Hals küsste und mit den Händen in ihre Locken fuhr.
Seine Empfindungen gehörten ihm allein und gingen niemanden etwas an. Auch nicht die Frau aus dem Leichenkeller. Elisabeths Leben war zu Ende, aber seines nicht. Er lebte, atmete, und keiner durfte ihm sagen, was er zu fühlen hatte. Die Vergangenheit sollte vergangen bleiben und aus seinem Hirn verschwinden. Wie Elisabeth.
Katja genoss seine ungestüme Umarmung, strich mit den Fin gernägeln herausfordernd sein Rückgrat entlang, lachte leise, flüs terte zärtliche Worte. Doch ihre schmeichelnde Stimme erreichte ihn nicht. Ein verbissenes Verlangen grub tiefe Falten in sein Gesicht, als er ihr die Bluse über den Kopf streifte und in ihren Haaren Vergessen suchte.
Da war dieser flüchtige Hauch von Rosenblättern in seinem Innern, Verwesung und Formaldehyd.
Krampfhaft presste er die Lider zusammen, bis sie schmerzten und nur noch tanzende bunte Lichtblitze dahinter zuckten. Das Vergessen ließ auf sich warten.
Tag 2 – Dienstag
Katja war bereits gegangen, als Adrian am nächsten Morgen erwachte. Vor dem Kleiderschrank stand er mehrere Minuten unschlüssig herum. Er schaffte es nicht, ein schwarzes Hemd anzuziehen oder wenigstens eine schwarze Krawatte. Elisabeth hätte es von ihm erwartet. Aber Elisabeth war tot. Er wählte ein helles Blau.
In der Küche stand ein benutztes Glas, daneben der Orangensaft. Adrian trank direkt aus der Packung und stellte Katjas Glas in die Spülmaschine. Sie hatte kein Problem damit, sich um fünf Uhr früh in den Wagen zu setzen, um nach München zu fahren, und davor noch zu duschen. Er schon. Sein Biorhythmus verlangte Schlaf bis mindestens halb sieben. Vor acht kam er in den seltensten Fällen an seinem Schreibtisch im Polizeipräsidium an.
Man bekam Dienstbefreiung für Todesfälle im engsten Familienkreis. Aber heute ging er zur Arbeit wie an jedem anderen Tag, nahm die Anteilnahme der Kollegen schweigend zur Kenntnis, schloss dann die Tür hinter sich und verbannte Elisabeth für ein paar Stunden aus seinem Kopf. Erst sein Terminkalender im Computer erinnerte ihn kurz vor dem Feierabend mit dezentem Klingeln daran, dass er sich dem Problem wieder stellen musste.
Adrian verließ sein Büro, legte am Drehkreuz die Ausweiskarte auf das Lesegerät und grüßte den Pförtner mit beiläufigem Heben der Hand. Die U-Bahn-Station war nur wenige Meter entfernt, und kurz zog er in Erwägung, den Wagen am Präsidium zurückzulassen. In der Stadt einen Parkplatz zu ergattern, war nahezu aussichtslos; fast überall benötigte man einen Anwoh nerausweis, und die Kollegen vom Ordnungsamt waren im Dauer einsatz.
Elisabeths Wohnung, in der Nähe des Museumsufers, war mit der U-Bahn bequem zu erreichen. Aber er hatte keine Lust nach seinem Besuch dort weiter mit den Öffentlichen durch die Stadt zu schaukeln. Auf die Dauer wurde das zu umständlich, schließlich musste er irgendwie nach Hause und morgen früh wieder zur Arbeit kommen. Und wer weiß, wohin noch zwischendurch. Je nachdem, was der kleinen
Weitere Kostenlose Bücher