Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
verwundert den getippten Gruß:
Mögen deine Weihnachtstage voller Freude sein, denn du hast das schönste und glücklichste aller Feste verdient.
Während ich noch las, hörte ich unten die Haustür ins Schloss fallen. Ich sprintete zum Fenster und sah gerade noch ein Taxi die schneegesäumte Straße hinabfahren. Auf der Rückseite der Karte stand die Anschrift eines Ladens aus Lower Manhattan – Turner’s –, den ich nicht kannte. Etwas ratlos setzte ich mich wieder, stellte den Blumenkorb vor mir auf den Tisch und unterzog die Komposition einer fachmännischen Untersuchung, doch der Stil sagte mir auch nichts. Mum ist nämlich der Ansicht, dass jeder Florist seine ganz persönliche Handschrift hat. Nach sechs Jahren in New York kenne ich eigentlich den Stil fast aller Floristen in der Stadt. Aber dieses Arrangement war mir ein absolutes Rätsel. Dann ging ich im Geiste eine Liste der möglichen Absender durch. James konnte ich gleich streichen (derartige Aufmerksamkeiten liegen ihm völlig fern), Celia auch (sie macht keine anonymen Geschenke, weil sie sich gern im Glanz ihrer Großzügigkeit sonnt), ebenso David (sehr unwahrscheinlich, außerdem weiß er nicht, wo ich wohne) und Marnie (sie würde mir eher ein Zeitschriftenabo schenken oder knallbunten, selbst gemachten Schmuck) oder Ed (warum sollte er woanders Blumen kaufen?). Blieb also nur noch Nate, obwohl ich mir nicht erklären konnte, warum er mir ausgerechnet an Weihnachten Blumen schicken musste, nachdem ich seit Mimis Ball gerade mal drei SMS von ihm bekommen hatte. Es sei denn, er wollte sich damit entschuldigen? Oder wollte er mir zu verstehen geben, dass seine
auf dem Ball zur Schau gestellte Verliebtheit eben nur das war – eine gelungene Inszenierung?
Viel zu viele Gedanken, die ich mir da machte, noch dazu an Weihnachten. Also verdrängte ich alles, was mir gerade so durch den Kopf ging, schaltete den Fernseher ein, suchte und fand einen Sender, auf dem White Christmas lief, und machte es mir für einen wunderbar ruhigen Tag gemütlich.
22
Ganz egal, wie es in meinem Leben sonst gerade so läuft, irgendwie gehe ich immer davon aus, dass im neuen Jahr alles gut wird – oder dass es zumindest gut anfängt . Wenn das alte Jahr zu den Akten gelegt ist und ein neues vor einem liegt wie ein frisches weißes Blatt Papier, scheint auf einmal wieder alles möglich.
Seit ich ein kleines Mädchen war, führe ich Tagebuch. Meine Tagebücher helfen mir, mein Leben zu begreifen. In ihnen kann ich mich meiner Fähigkeit vergewissern, mit Problemen umzugehen, sie erinnern mich an meine Träume und Hoffnungen. Und sie bringen mich zum Lachen, wenn ich mit altersweisen Augen lese, was ich vor Jahren unter Tränen zu Papier gebracht habe. Jedes Jahr an Neujahr lese ich mir den Neujahrseintrag des Vorjahres durch – teils um mir in Erinnerung zu rufen, wie viel seitdem geschehen ist, teils um zu sehen, welche meiner Wünsche binnen eines Jahres in Erfüllung gegangen sind. Es erstaunt mich immer wieder, wie viel ich erreicht habe – aber auch, wie viele meiner Träume unerfüllt geblieben sind. So mancher würde sagen, dass ich nichts aus meinen Erfahrungen lerne und immer wieder zu viel erwarte und erhoffe. Ich sage lieber, dass ich nie den Glauben daran verliere, dass das Beste erst noch kommt.
Nach all den unerwarteten Ereignissen der vergangenen Monate bekam dieses Ritual in diesem Jahr eine ganz besondere Bedeutung für mich. Und doch überraschte mich der Unterschied zwischen meinem diesjährigen Eintrag und dem, was ich letztes Jahr geschrieben hatte. Keine Spur mehr von der verhaltenen Optimistin, die zwar allerlei Hoffnungen für das neue Jahr hegte, doch zu sehr unter den Verletzungen der Vergangenheit litt, um ihre Träume wahrzumachen. An ihre Stelle war jemand getreten, die ich kaum wiedererkannte: Eine selbstbewusste junge Frau, die über ihre Gefühle reden konnte, zuversichtlich in die Zukunft blickte und für die das neue Jahr voller neuer Möglichkeiten war. Obwohl ich wusste, dass das Wiedersehen mit David mir geholfen hatte, die Geister der Vergangenheit endlich ruhen zu lassen, war ich doch überrascht darüber, wie sehr ich mich verändert hatte. Ja, sogar meine Schrift hatte sich verändert, war bestimmter und energischer geworden, nahm sich mehr Raum. Die zunehmende Vertrautheit mit Ed, meine widersprüchlichen Gefühle für Nate und meine Reaktion auf das Wiedersehen mit David hatte ich ganz genau festgehalten. Letztes Jahr
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