Die Zaehmung
durch den Mauerschlitz warf, fand sich Liana beim Aufwachen von den Armen ihres Mannes umfangen. Sie vergaß Fehden, Groll und Zwistigkeiten und küßte seinen im Schlaf weichen Mund.
Rogan erwachte sofort und küßte sie mit all dem Hunger, den er empfand. Nach diesem Kuß waren sie beide verloren, und dann suchten sie sich beide in fieberhafter Hast ihrer Kleidung zu entledigen, um einer an des anderen Haut gelangen zu können. Sie kamen beide rasch zu einem Höhepunkt — mit einer Leidenschaft, die sich in den letzten zwei Wochen in beiden aufgestaut hatte.
Danach lagen sie sich in den Armen, während ihre schweißbedeckten Körper aneinander klebten. Lianas erster Impuls war, Rogan zu fragen, ob er sie wirklich häßlich fände und tatsächlich beabsichtigte, sie zu ihrem Vater zurückzuschicken; aber sie verzichtete darauf.
»Ich habe das Gespenst gesehen«, sagte sie schließlich.
»In der Kammer unter uns?«
»Es ist die Lady, die ich für Iolanthe hielt. Erinnerst du dich daran, wie ich sagte, sie wäre älter als Severn? Sie hat mir von Jeanne Howard erzählt.«
Er gab ihr keine Antwort, und Liana drehte sich in seinen Armen, um ihn zu betrachten. »Auch du hast sie gesehen, nicht wahr?« fragte sie nach einer Weile.
»Natürlich nicht. Es gibt dort kein Gespenst. Es ist nur . . .«
». . . was ist es? » Wann hast du sie gesehen? Hat sie genäht oder Flachs gesponnen?«
Es dauerte einige Zeit, ehe er erwiderte: »Sie hat gestickt. An dem Teppich mit dem Einhorn.«
»Hast du das jemals einem anderen erzählt?«
Seine Stimme war ganz leise. »Das war nach Oliver Howards Entführung von . . . ihr.«
»Von Jeanne.«
»Ja, die«, gab Rogan zurück. »Die Frau kam zu mir und sagte, daß sie diesen Howard haben wolle — daß sie mit seiner Brut schwanger sei. Sie bat mich, die Fehde zu beenden. Ich hätte damals die Schlampe mit meinen Händen erwürgen sollen.«
»Aber du brachtest es nicht fertig.«
»Ich tat es jedenfalls nicht. Ich kam hierher, um Vorräte zu besorgen — wir hatten bereits ein Jahr mit den Howards gekämpft — und eines frühen Morgens schoß ich einen Pfeil ab, um einen Bogen zu prüfen, und der Wind erfaßte ihn und trug ihn in ein Fenster über dem Söller hinein. Wenigstens glaubte ich das in jenem Moment. Ich glaubte auch den Schrei einer Frau zu hören. Ich ging in den Söller und dann in die Räume darüber. Seit Jahren hatte niemand mehr darin gewohnt wegen der Geschichten von dem Geist. Mein Vater pflegte sie zu verfluchen, weil sie jedesmal erschien, wenn er Gäste hatte, und diese vergraulte.«
»Hattest du Angst, als du dir den Pfeil wieder holen wolltest?«
»Ich war damals viel zu wütend auf die Howards, um mir wegen eines Geistes Sorgen zu machen. Ich hatte meine beiden Brüder verloren, und jeder Pfeil wurde gebraucht.«
»War sie im Zimmer?«
Sie sah den Hauch eines Lächelns auf Rogans Gesicht. »Ich dachte, ein Geist würde . . . etwas Nebelartiges sein oder so etwas Ähnliches. Aber sie sah so wirklich und lebendig aus. Sie hatte meinen Pfeil in der Hand und schalt mich aus. Sie sagte, daß ich sie fast getroffen hätte. In diesem Augenblick kam mir die Tatsache gar nicht zu Bewußtsein, daß ich in die entgegengesetzte Richtung geschossen hatte — weg von der Burgmauer.«
»Worüber hast du mit ihr gesprochen?«
»Es war eigenartig, aber ich redete mit ihr, wie ich vorher noch nie mit jemandem geredet hatte.«
»Mir erging es ähnlich. Sie wußte so viel von mir. Hast du mit ihr über Jeanne gesprochen?«
»Ja. Sie sagte mir, meine Frau wäre nicht diejenige.«
Sie sah ihn an. »Was meinte sie damit?«
»Ich weiß es nicht. Es machte einen Sinn, solange ich mit ihr zusammen war; aber später wußte ich damit nichts mehr anzufangen. Ich vermute, es hatte etwas mit dem Gedicht zu tun.«
Lianas Augen weiteten sich. »Was für ein Gedicht?«
»Ich hab seit Jahren nicht mehr daran gedacht. Eigentlich scheint es mir eher ein Rätsel zu sein. Warte mal. . .
Wenn das Rot und Weiß Schwarz ergibt Wenn das Schwarz und Gold eines wird Wenn das eine und das Rot sich vereinen Wirst du es wissen.«
Liana lag still in Rogans Armen und dachte über das Rätsel nach. »Was bedeutet das?«
»Ich habe keine Ahnung. Zuweilen habe ich, wenn ich im Bett lag, darüber nachgedacht; aber ich fand keine Lösung dafür.«
»Wie denkt Severn darüber? Oder Zared?«
»Ich habe keinen von beiden danach gefragt.«
Sie schob sich von ihm weg, um ihn zu betrachten.
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