Die Zarin (German Edition)
Feind naht, so stecken sie alles in Brand! Der Schwede wird nichts zwischen die Zähne bekommen und nur weiter in den Hunger und die Kälte ziehen. Die Verbrannte Erde besiegt die Feinde der Kosaken besser, als sie es selber tun!«
Iflant und der Zar lachten, und ich sah von meiner Stickerei auf. Plötzlich verstummten sie und starrten sich nur an. Peter schlug mit einer Hand auf Iflants Schulter und sagte mit blassem Gesicht: »Das ist es, Nikolai, das ist es! Verbrannte Erde!«
Der Ukas war schnell geschrieben und ebenso rasch an die Front gesandt. Der Befehl konnte einem den Magen umdrehen: Ich wußte, was er für die Menschen in ihren kleinen isby bedeutete! Sobald der Feind in die Ukraine einfiel, sollten alle Vorräte, alles Futter und alles Korn auf den Feldern, auf den Dreschplätzen oder Kornkammern der Städte, das nicht zum Überleben der eigenen Armee notwendig war, verbrannt werden. Brennen sollten auch alle Häuser, die Ställe und jede ummauerte Fläche. Brücken wurden in die Flüsse gerissen, Wälder und Böschungen abgeholzt und in Flammen gesetzt. Mühlen wurden angezündet und die Mühlsteine in tausend Splitter zerschmettert. Die Einwohner einiger Dörfer weigerten sich, dem Befehl zu folgen: Das gesamte Dorf wurde in Brand gesteckt und die Bewohner hingerichtet.
»Und die Menschen, die dort leben? Was geschieht mit ihnen?« wagte ich zu fragen, als Peter mir die Verbrannte Erde erklärte.
»Sie werden in die verbleibenden Wälder geschickt, mit ihrem Vieh und all dem Besitz, den sie tragen können. Dort müssen sie warten«, sagte er nur und schritt ungeduldig wie ein gefangenes wildes Tier im Zimmer auf und ab. Er war aus Verzweiflung über die Not Rußlands dünn geworden, und seine alte Uniformweste schlackerte um seinen Körper. Kein Wunder, seine Nahrung bestand in jenen Tagen aus viel Branntwein, etwas kascha am Morgen und einigen wenigen Bissen am Abend.
»Und wenn der Winter kommt? Der grausame russische Winter?« fragte ich entsetzt.
Peter sah mich an. Seine blauen Augen weiteten sich, und die schön geschwungenen dunklen Brauen zogen sich zusammen. »Wenn der Winter für die Kosaken kommt und er für sie grausam ist, dann ist er noch zehnmal so grausam für die Schweden. Sie sollen verrecken wie Vieh.«
In der folgenden Nacht erkrankte Jekaterina. Wir versuchten alles, um ihr Fieber zu vertreiben. Blumentrost ließ sie mehrmals zur Ader. Es war schrecklich anzusehen, wie tapfer sie sich hielt, als die heißen Gläser auf ihren zarten Rücken gedrückt wurden. Als das nichts half, ließen die Ärzte sie in Eiswasser baden. Ich wollte ihnen die Peitsche geben, doch gerade als ich mich noch weigerte, eine Behandlung mit Quecksilber zuzulassen, starb unsere kleine Tochter.
Peter verschloß sich vor dem Schmerz, denn seine Seele hatte in jenen Monaten mit so vielem zu kämpfen. Wenn ich über den Tod meiner kleinen Söhne unglücklich gewesen war, so vergleicht sich nichts mit dem Schmerz über den Tod eines Kindes, das schon läuft und spricht. Jekaterina war schon ein echter kleiner Mensch gewesen, mit eigenem Wesen und voll Trotz. Einige Monate später trug ich wieder ein Kind von Peter unter meinem Herzen. Doch dort, wo die Liebe zu Jekaterina in meinem Herz gesessen hatte, blieb eine Blase aus Bitterkeit zurück.
Sankt Petersburg wuchs mit jedem Monat, den mein Leib sich rundete. Trotz der verfahrenen Lage im Großen Nordkrieg wollte Peter über das Geschehen in seiner Stadt auf dem laufenden gehalten werden. Die Peter-und-Pauls-Fe stung war nun in Stein errichtet worden: Das trutzige Gebäude sollte jedem Angriff auf sein Paradies standhalten! Die Bastionen der Festung waren nach Peters besten Männern benannt: Menschikow, Sotow, Golowkin, Trubetzkoi und Naryschkin.
Ich blieb in der werdenden Stadt, in der das Notwendigste zuerst errichtet wurde. Gerade zur Niederkunft nach dem Julfest sollte ich mich nach Moskau begeben, wo mehr Frauen und auch die Hebammen des Kreml mir aufwarten konnten. Ich saß in meinem Schlafzimmer im kleinen Sommerpalast, dort wo der Fontanka-Kanal die Newa trifft. Mein Körper war so geschwollen, daß ich mir nicht einmal selber mit meinen dicken Fingern die langen Haare flechten konnte.
Es war schon spät in der Nacht. Meine Kammerfrau schlief bereits zusammengerollt vor meiner Tür. Ich war ruhelos und wußte in der Nacht nicht, auf welche Seite ich meinen geschwollenen Bauch drehen sollte. So mühte ich mich zur Abwechslung damit ab,
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