Die Zarin (German Edition)
Gesetz.« Seine Stimme verlor sich in seiner Angst. Peter hob den Arm und fuhr dem Popen zweimal mit seiner dubina über den Kopf. Blut tropfte auf den bunten Marmor der kühlen Fliesen. Peter trat ihn in Richtung einiger Gardesoldaten. »Bringt ihn weg. Dreißig Knutenschläge für die Beleidigung des Zaren aller Russen vor fremden Würdenträgern.«
Ich sah, wie der preußische Gesandte blaß wurde. Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle er für den Popen sprechen, dann überlegte er es sich jedoch anders. Anna schluchzte nun krampfhaft, und ich hielt ihr meine kleine Flasche mit Riechsalz unter die Nase. Die Tränen hinterließen häßliche Spuren auf ihrem sorgfältig weißgeschminkten Gesicht. Praskowja knuffte sie unsanft in die Seite. »Reiß dich zusammen, Anna!« zischte sie ihre Tochter an.
»Menschikow!« Peters Stimme schwallte durch die modrige Luft der Kirche. »Bring’ mir deinen Popen. Und sag ihm gleich, was mit ihm passiert, wenn er sich weigert, meine Nichte mit dem Herzog zu trauen!«
Das anschließende Fest war dennoch froh, und jegliche Spur von altherge brachten russischen Sitten war daraus verschwunden: Männer und Frauen saßen bunt gemischt an den langen Tischen und labten sich an Kaviar, Fischspeisen, Geflügel, Fleisch aller Art und auch einer riesigen Torte aus Zuckergebäck, die Peters neuem Winterpalast nachempfunden war. Felten hatte seine Köche drei Tage und Nächte daran arbeiten lassen. Wir tanzten die Nacht hindurch und staunten über ein prachtvolles Feuerwerk, das die Wappen der Romanows und des Hauses von Kurland verschlungen in den Himmel zeichnete. Der junge Herzog war in jenem Augenblick schon zu betrunken, um seine ehelichen Pflichten wahrzunehmen. Als die Jungvermählten unter Tränen und Umarmungen in ihre Schlitten stiegen, um nach Kurland zu reisen, fiel mir seine ungesunde Gesichtsfarbe auf. In der Nacht vor der Abreise endlich hatte er bei Anna gelegen, und sie wirkte zufrieden. Die Kufen ihres Schlittens schlugen Funken, als sie über den harten Schnee des Kais entlang der Newa glitten, und die bunten Fahnen daran wehten im frischen Morgenwind des neuen Jahres.
Nur drei Tage später war die Herzogin von Kurland wieder bei uns: Fünfzig Meilen von Sankt Petersburg entfernt hatte ihr Mann sich nach einem weiteren Gelage vom Vorabend in einer Poststation übergeben müssen. Er fiel dabei kopfüber in den Schnee und erstickte dort unter den entsetzten Rufen seiner jungen Frau an seinem eigenen Erbrochenen.
»Peter Andrejewitsch Tolstoi ist der mühsamste meiner Gesandten!« rief Peter und hielt einen Brief, den er gerade erhalten hatte, an das schräg einfallende Licht des Nachmittags. »Dies ist das dritte Bittschreiben, das er in einer Woche gesandt hat! Anscheinend ist er durch seine Besuche auf dem Sklavenmarkt von Konstantinopel nicht beschäftigt genug …«, murmelte er und ließ das Papier auf den Tisch fallen, auf dem sich schon viele weitere Papierrollen und ukasy anhäuften. »Immer will er mehr Gold und mehr Zobel! Die Gier des Sultans an der Goldenen Pforte scheint ein Faß ohne Boden zu sein!«
»Was, er will davon noch mehr?« lachte ich und rollte mich träge auf den Bauch. Meine Kammerjungfer hatte uns warmen Pfefferkuchen mit Nüssen und Honig serviert, an dem ich behaglich knabberte, während ich auf einigen Kissen am Boden die Zeichnungen eines neuen Kleides besah. Im Kamin fielen einige Scheite in sich zusammen, und mein Schoßhund zuckte jaulend vor dem Funkenflug zurück. Ich lachte wieder, griff ihn mir und küßte ihn auf die feuchte Schnauze.
Peter umkreiste mich, als sei er ein Adler hoch am Himmel. Ich blieb ruhig liegen und betrachtete nur aus den Augenwinkeln, wie die Spitzen und die abgetretenen Sohlen seiner Stiefel kamen und gingen. Ich nahm noch ein Pfeffergebäck und sog gierig den warmen, süßen Geruch ein. Peter blieb ganz plötzlich direkt vor mir stehen. Er schlug sich mit der geballten Faust in seine Hand.
»Das ist es. Das ist es, was wir brauchen. Die verfluchten Franzosen und Engländer haben recht mit ihrem Gerede. Ich werde den Ukas noch heute entwerfen …«
»Was?« fragte ich nun doch und legte die bunten Zeichnungen aus der Hand. Gleichzeitig setzte ich mich auf und schlang mir den reichgemusterten weichen Schal aus persischer Wolle um meine Schultern. In diesem Winter kroch einem die Kälte trotz der Flammen des Feuers im Kamin unter die Haut. Selbst mein blaues Samtkleid schien mir klamm und
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