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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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vielen anderen Männer, die er sein konnte. Irgendwo, vom Antlitz des Knaben, der Piroggen auf den Straßen von Preobraschenskoje verkaufte, bis hin zum reichsten und mächtigsten Mann in Rußland, war dem erstaunlichen Alexander Danilowitsch Menschikow sein eigenes Angesicht abhanden gekommen: Er war ein Mensch, der jedem Zugriff ohne Mühe entglitt. Ganz so, wie der matte Sand am Ufer des Golfs von Finnland einem durch die Finger rann. Menschikow erwiderte meinen Blick ruhig. Er konnte warten. Oh ja, seine endlose, gefährliche Geduld.
    »Ich denke an den Zarewitsch«, antwortete ich ihm.
    »An Peter Petrowitsch?« versicherte sich Menschikow und sah kurz auf das Gemälde, das über dem Kamin hing. Elisabeth seufzte leise im Schlaf. Damals, als mein Sohn mit Fieber zu Bett lag, hatte ich Gott einen verwerflichen Handel vorgeschlagen. Nimm Elisabeth. Laß mir meinen Sohn. Der Himmel hatte nur gelacht über meine Verzweiflung. Gelacht, ehe er mit grausamer, geschwinder Hand strafte: Peter wie auch mich.
    »Nein. Ich denke an Alexej. Lebte er noch, dann wäre jetzt auch alles anders«, erwiderte ich rasch, um den traurigen Gedanken zu verjagen.
    Menschikow lachte auf. »Allerdings wäre jetzt alles anders, Zarin! Du und ich, wir steckten jetzt bereits wie die Brathühner am Stecken, dessen sei dir sicher! Alexej hätte mir gerne persönlich den Pfahl durch die Eingeweide getrieben, und das, ohne vorher das Holz zu fetten! Dabei hätte der abartige Widerling sicherlich mit Lust gegrunzt.«
     
     
     
     
     
     
     
    Als Peter nach Alexejs Rückkehr das unerhörte Grauen im Palast und auch im ganzen Land entfesselte wie ein Gott den Sturm, hatte ich erst begriffen, was diese grausame Strafe des Pfählens bedeutete. Dabei hatte er dieses Urteil über nur einen Mann verhängt! Doch sein Anblick genügte.
    Ich hatte während der Jahre an Peters Seite so manches an Grausamkeit gesehen: Männern wurden die Mützen auf den Kopf genagelt, weil sie sie nicht schnell genug vor dem Zaren abnahmen. Mönche und Nonnen wurden aufgeschlitzt, weil sie es gewagt hatten, den Zaren und seine Entscheidungen in aller Öffentlichkeit als unsinnig und gotteslästerlich zu bezeichnen. Russen und Altgläubige, die nach all den Jahren seiner Herrschaft noch immer behaupteten, Peter sei ein deutscher Wechselbalg, wurden mit geschmolzenem Metall erstickt.
    Aber nichts konnte mich auf den Anblick der Qualen jenes Verurteilten vorbereiten. Seine Schreie zerrissen die weiche Luft des Moskauer Sommertages, ehe sie des Nachts nach langen Stunden des Schmerzes zu einem schwachen Wimmern wurden. Sein dunkles Blut wollte nicht gerinnen, sondern tropfte ihm immer wieder aus allen Poren auf die Steine des Platzes, die seine reiche Farbe annahmen. Der Rote Platz verdiente in jenem Sommer seinen Namen. Die Luft legte sich widerlich süß um den Kreml und würgte mir die Lust am Leben aus dem Leib.
     
    Weshalb mußte dieser eine Mann so leiden? Wer war der Gardeoffizier, dessen Namen ich nie zuvor gehört hatte? Anna Tolstoja konnte mir meine Frage beantworten. Peter erfuhr während seiner unerbittlichen Befragungen, daß die Zariza Jewdokija Lopuchina in ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit nicht nur heimliche Besuche von Alexej erhielt. Nein, sie hatte auch eine harmlose kleine Liebesgeschichte begonnen. Stepan Glebow, der die Zariza eigentlich hatte bewachen sollen, war bei ihrem armseligen Anblick von Mitleid ergriffen worden. Jewdokija erwiderte seine barmherzigen Gefühle mit all der Kraft und Leidenschaft, die über die Jahre hinweg mit ihr in ihrer Klosterzelle gefangengehalten worden waren. Der Mann weigerte sich selbst unter der Folter, Jewdokija zu belasten. Aber Peter fand die zärtlichen Briefe, die Jewdokija an Glebow geschrieben hatte. Sie nannte den Offizier lapuschka ! Ihr Hasenpfötchen! Bei dem allmächtigen Gott, denselben Kosenamen hatte sie ihm doch in den so kurz bemessenen Nächten ihrer Ehe ins Ohr geflüstert!
    Dafür mußte Glebow bezahlen: Als ihm unter der Folter schon alle Knochen gebrochen waren und sie ihm das Fleisch mit glühenden Zangen vom Körper rissen, da befahl Peter mit einem Mal: Auf den Pfahl mit ihm! Das spitze Holz wurde ihm durch die Eingeweide bis hin an seine Brust getrieben.
     
    Jewdokija schrie bei der Nachricht vor Schmerz, bis ihr die Stimme brach. Für Tage floh ihr Geist in ein Reich, das zwischen der grausigen Wirklichkeit und einem gnädigen Wahnsinn und Vergessen lag. Um Milde für ihr und sein

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