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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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geschäftig aus! Allein die Vielzahl von Häusern, die es dort gab. Ich konnte nicht schnell genug die Schornsteine zählen. Es waren niedrige, langgestreckte Holzhäuser, die viel größer waren als unsere isba . Wie viele Familien wohl darin lebten? Die Häuser standen wie Kraut und Rüben durcheinander, aber sie wirkten trutzig und weitläufig gebaut. Die Vaïna schob sich breit zwischen ihnen, den saftigen Wiesen und den sorgfältig angelegten Gemüsefeldern hindurch. Die Häuser direkt neben dem Fluß waren auf Stelzen gebaut, um nicht im Frühjahr davongeschwemmt zu werden. Fast jedes von ihnen war von einem Hof und einem Garten umgeben. Walk sah so reich aus!
    Bei der Einfahrt durch das Stadttor gingen mir dann fast die Augen über: Wie konnten so viele Menschen sich nur auf einem Fleck bewegen? Auf den Straßen wimmelte es nur so vor Menschen, wie ich es noch nie gesehen hatte! Es sah ebenso geschäftig aus wie die Ameisenhaufen, die wir im Herbst ausräucherten, um uns daran zu freuen, wie die Ameisen wild in alle Richtungen flohen. Menschen drängten sich an der Mauer entlang, aus dem Tor heraus, in die Straßen hinein, um den Karren herum und an uns vorbei: Bauern mit Federvieh in Käfigen, welche sie sich auf die Schultern geladen hatten. Feine Herrschaften aus Walk, die mit sauber geknöpften Röcken und Schuhen aus glänzendem Leder den Matsch und den Kot der Straße meiden wollten. Einfache Frauen, die mit einem Tuch über ihren Haaren und Schultern nach Hause eilten, die Arme voller Einkäufe, die sie auf dem Markt gemacht hatten. Lehrjungen, die mit vom Schreien roten Gesichtern Würste und Backwaren auf der Straße feilboten. Bettler und Lumpenvolk, die sich geschickt durch die Menge schlängelten und hier einen Apfel und dort eine gefüllte Börse mitgehen ließen. Maulesel schrien unter der Peitsche der Lastknechte, und Hunde keilten sich um den Abfall, der vor die Häuser geworfen wurde. Dies war noch viel besser als Meister Lamperts Zelt der Wunder! Obwohl Wassili mir nur knapp und mürrisch Antworten auf all meine Fragen gab, erfuhr ich, daß da zum einen Polen aus dem Süden waren – sie trugen enganliegende Hosen bis zum Knie und Strümpfe über dem Schienbein, Schuhe mit Schnallen aus Metall und schmale Jacken in dunklen Farben, die ihnen ebenfalls bis zum Knie reichten. Dann die Tataren aus dem Osten: Sie jagten mir einen Schauer der Furcht über den Rücken! Ich wagte es kaum, sie direkt anzusehen, aus Angst, sie zu beleidigen. Wie wild sie aussahen, mit den schräggestellten Augen, den hohen Backenknochen und den grob gegerbten Fellen, die sie sich um die Waden wickelten. Sie alle trugen Waffen an ihrer Seite. Außerdem sah ich hochgewachsene, blonde schwedische Soldaten, die in die kleine Garnison am anderen Ende der Stadt gehörten. Einige lächelten und zwinkerten mir zu, ehe sie ihre Aufmerksamkeit den deutschen Bürgersfräulein zuwandten, die an der Seite ihrer Mütter von Laden zu Laden gingen.
    Ich starrte sie so an, daß mir fast die Augen ausfielen: Wie ordentlich diese Mädchen aussahen! Ihre Haare lagen sauber unter einer steifen, gebauschten Haube, und ihre Leibesmitte war fast unanständig eng gebunden, so daß ihr Busen sich rund und deutlich wölbte. Ihre Kleider hatten lange, schmale Ärmel mit kleinen Knöpfen an den Handgelenken, und die Röcke fielen anmutig schwingend. Sie mußten darunter steife Unterröcke tragen! Ich verrenkte mir fast den Hals – ich dagegen mußte ihnen wie eine Wilde erscheinen! Was hätte ich dafür gegeben, eine von ihnen zu sein: frei und behütet. Russische Popen überquerten rasch die Straße vor unserem Karren und riefen Wassili einige Worte zu. Ich sah noch andere Russen, mit ihren langen, verfilzten Bärten, in denen noch die Mittagssuppe hing, und den schleppenden Gewändern mit den breiten Kragen. Es war nur einige Monate vor der Zeit, als ihr Zar ihnen befahl, sich die Bärte abzuschneiden. Glattrasiert zu sein war für einen Russen Gotteslästerung! Der Herr selber trug auf all ihren Ikonen einen Bart, und nun sollten sie es ihm nicht mehr gleichtun? Es wurde bereits damals gemunkelt, der Zar sei wahnsinnig geworden. Andere meinten, er sei nicht wirklich der Zar, sondern ein Wechselbalg von fremdem Blut: Die Zariza Natalja Naryschkina, seine Mutter, sollte damals ein Mädchen geboren haben. Noch in der Nacht seiner Geburt sei es gegen einen Knaben aus der deutschen Vorstadt von Moskau ausgetauscht worden! Ein falscher Zar also, der

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