Die Zarin (German Edition)
zu. Der, der zuerst zu meinem Vater gesprochen hatte, strich sich über den verfilzten Bart.
Wassili fuhr fort: »Nein, ich will die da! Sie ist stark und gesund wie ein Roß.« Er zeigte dabei auf mich. Mir wurde schwindelig. Elisabeth mischte sich mit schriller Stimme ein: »Nein – sie ist schlechtes Blut. Und dazu ist sie noch dumm und faul!« So leicht wollte sie wohl nicht aufgeben.
»Halt den Mund«, sagte Wassili nur und griff in den Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing. Erst jetzt bemerkte ich, daß er wieder zur Reise gekleidet war. Seine hohen Stiefel waren um seine Waden geschnürt, und er trug einen schlichten, dunklen Mantel aus Leder. Neben dem Beutel hingen ihm ein Schwert und eine Pistole an seinem Gürtel. Die Reise war lang und gefährlich mit einem Wagen voller Güter. Er förderte einige Münzen zutage und gab sie den Mönchen.
Elisabeth schob sich wieder nach vorne und sagte: »Und wir? Wir verlieren eine Arbeitskraft, wenn sie geht …?«
Sie streckte offen die Hand aus. Ich suchte die Augen meines Vaters. Er hatte jedoch noch immer vor Scham das Gesicht abgewandt. Wassili zögerte kurz. Einer der Mönche nickte kurz, und so gab er Elisabeth eine silberne Münze. Sie biß kurz darauf und steckte sie zufrieden ein. Mehr war ich ihr also nicht mehr wert. Hexe! Wassili wandte sich an mich.
»Pack deine Sachen, Mädchen. Mein Wagen steht schon draußen. Wir fahren sofort.«
Ich zögerte, aber Elisabeth half mir mit einem leichten Stoß nach. Viel zu packen hatte ich nicht. Ich trug noch meine gute, am Kragen mit Blumen bestickte Leinentunika über einem sauberen Sarafan – bei der Reise würden sie verdorben werden! Walk war immerhin fast drei Tagesritte entfernt. Ich begann meinen Gürtel aufzuschnüren. Die Mönche wandten sich ab, Wassili jedoch musterte mich unverschämt von oben bis unten. So mußte ich vor seinen Augen aus dem Hemd schlüpfen und mir mein einfaches Tagesgewand mit langen Ärmeln und eine alte Tunika überziehen. Ich spürte seine Augen auf jedem Fleck meines Körpers und meine Wangen brannten vor Scham. Ich schlang meinen Zopf zum Knoten und band mein Kopftuch fest um die Stirn. Leicht sollte der alte Bock es nicht mit mir haben, das schwor ich mir.
»Ich bin fertig«, sagte ich dann nur. Ehe ich die Tür erreichte, war da plötzlich mein Vater neben mir. Er nahm mich zum ersten Mal, seit ich denken konnte, in den Arm.
»Gib auf dich acht, mein Kind. Deine Mutter war eine gute Frau. Wir sehen uns im nächsten Leben, so Gott will«, flüsterte er in mein Ohr.
»Was will Gott schon!« zischte ich, um meine Tränen zu vertreiben.
Wassili griff mich fest um mein Handgelenk.
Anna begriff plötzlich, daß ich fortging, und begann zu weinen. Elisabeth Rabe verpaßte ihr eine rasche Ohrfeige, welche die Kleine noch mehr schreien ließ. Einer der Mönche schlug segnend ein Kreuz über mich. Ich fauchte ihn an. Dann war ich zur Tür hinaus und saß neben Wassili auf dem Kutschbock. Seine drei Begleiter waren nicht einmal abgestiegen und musterten mich nur kurz. Sie wußten wohl schon vorher, daß das Geschäft schnell abgeschlossen sein würde. Ich fühlte mich krank vor Demütigung.
Auf der Reise nach Walk weinte ich meist neben Wassili, und er sprach kein Wort mit mir. Ab und an schnalzte er mit der Zunge nach den Pferden und trieb sie zu einem raschen Trab über die Wege zwischen den Feldern an, deren Schollen bereits trocken glänzten. Auf den Ebenen ritten seine Begleiter vor und hinter dem Wagen, so daß wir aus der Entfernung betrachtet aussehen mochten wie ein Zug Wildgänse am Himmel. Im Wald jedoch schützten sie den Karren mit den Leibern ihrer Pferde, um Diebe und Wölfe abwehren zu können. Ich wagte es kaum, mich umzusehen. Ich kannte nichts als unseren mir , mein Dorf und meine Welt. Im Gasthaus, in dem wir übernachteten, hatte ich meine eigene Kammer, in die Wassili mich einsperrte. Das Bett darin war mit Stroh gemacht, aber es war bequemer als der harte Ofen, auf dem ich daheim geschlafen hatte! Einer seiner Begleiter mußte auf meiner Schwelle schlafen. Die beiden anderen bewachten den Karren. Natürlich hatte er Angst, daß ich ihm wegliefe. Ich aber wußte doch nicht einmal, wohin ich sollte. Zurück konnte ich doch nicht. Elisabeth Rabe hätte mich totgeschlagen. Er rührte mich jedoch zu meinem Erstaunen nicht an.
Den ersten Anblick, den Walk uns bot, werde ich nie vergessen: Bereits aus der Ferne sah es so ungeheuer groß und
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