Die Zarin (German Edition)
über seine Schulter nach Kugeln und Pulver: Er lud die Waffe erneut damit durch und schoß ein zweites Mal in die Luft. Ich hielt ihn um die Leibesmitte gefaßt, um den Rückschlag der Waffe gegen seinen Körper abzumildern.
»Erschreckt doch nicht, Ihr Esel!« rief er dann nach unten. »Frieden! Mir ! Wir haben Frieden! Mir , mir ! Der große Nordkrieg ist vorbei! Dieses Land ist auf ewig unser!« jubelte er. Seine Worte mischten sich unter die Salven, die nun den seinen antworteten. Die Nachricht wurde von den Glocken über die Stadt getragen, und die Menschen liefen in ihren Nachtgewändern auf die Straße. Sie schlugen auf alles, was sie finden konnten, wenn es nur Lärm machte! Trommeln dröhnten dumpf neben dem Scheppern von Töpfen und Ascheladen und dem Klirren von Schwertern, Sicheln und Sensen. Nach nur wenigen Augenblicken erhellte schon ein Feuerwerk über Menschikows Palast den Himmel. Peter sah es mit feuchten Augen und flüsterte: »Mein Alekascha. Laß uns hinüberlaufen! Jetzt, sofort!«
Unten auf dem Kai küßten und umarmten die Menschen sich. Die ersten Musikanten spielten auf, und diejenigen, die Peter erkannten, warfen sich auf die Knie vor ihm. So setzten wir durch das Läuten und das Schreien, das Tosen und das Toben mit einem Fährfloß auf die Wassiljew-Insel über. Das Wasser der Newa sah aus wie eine einzige Flamme, als die Freudenfeuer an den Ufern aufloderten. Ein Russe, so sagte ich mir ohne Erstaunen, nennt den Frieden und die Welt beim selben Wort: mir . Die Freude um den Frieden von Nystad klang in jener Nacht lauter als jedes Schlachtgeheul, aber in unseren Ohren war es das süßeste Lied.
Es dauerte mehr als drei Tage, bis Peter wieder nüchtern genug war, um über eine wahrhaftige Feier von Nystad in den Städten von Sankt Petersburg und Moskau nachzudenken. Als wir endlich zusammentrafen, um die Jubelfeier zu besprechen, sah ich ihm die Erschöpfung der letzten Tage deutlich an: Seine Finger waren schwarz von dem Pulver, mit dem er Feuerwerke zusammengestellt hatte, und seine Arme mußten schmerzen von den Trommeln, die er vergnügt selber geschlagen hatte. Aber auch wenn der Kopf sich ihm vor Wodka drehte und seine blutunterlaufenen Augen vor Müdigkeit zu brennen schienen, so griff er doch für die eigentlichen Feiern selbst zu Papier und Tinte. »Also, los geht es! Und ich will nur große, einmalige Ideen hören! Dies ist das Ende des großen Nordkrieges!« befahl er. Die Tage von Nystad mußten alles andere übertreffen. In diesem Augenblick glitt Maria Kantemir in den Raum und ließ sich wie selbstverständlich mit uns nieder. Sie war nach der Art ihres Landes gekleidet. Ich mußte zugeben, daß die schmalen Tuniken, die bestickten Kleider über engen Beinkleidern und der schwere Silberschmuck ihr fabelhaft zu Gesicht standen. Ihr betäubend starkes Parfum stieg mir in die Nase. Es duftete nach Moschus und Patschuli. Meine Damen flüsterten, daß sie auch einige Tropfen ihrer eigenen Feuchtigkeit darunter mischen ließ.
Peter legte seine Hand auf ihr Knie und las ihr lachend die Liste vor, auf der er einige Vorschläge aufgeschrieben hatte. Sie warf dann den Kopf in den Nacken. »Das sind alles gute Ideen. Aber ein Herrscher wie du muß das Fest gleich recht beginnen! Du benötigst eine starke, fast göttliche Note …« Sie hielt inne und ihre mit Goldtropfen gesprenkelten Augen verloren sich einen Augenblick in der Ferne. Peter lauschte ihr gierig und nickte bei jedem ihrer Worte, als tropften sie wie Perlen der Weisheit von ihren Lippen.
Ich seufzte, ganz so, als langweilte ich mich, und beobachtete dabei doch unauffällig die Männer, die stumm um uns herum saßen. Alekascha Menschikow. Mein kum Fjodor Apraxin, Wassily Dolgoruki und der Prinz Trubetzkoi, dessen Namen für immer mit der grausamen Bastion in der Peter-und-Pauls-Fe stung verbunden war. Der weißhaarige Graf Peter Andrejewitsch Tolstoi, mit dem ich vor vielen Jahren als Mann verkleidet meinem Schicksal entgegengeritten war.
Wie verhielten sie sich nun Maria Kantemir gegenüber?
Wir alle hatten viele Jahre gemeinsam durchfeiert und auch gemeinsam durchlitten. Ich hatte ihre Köpfe viele Male vor unmäßigen Strafen bewahrt, die Peter in seinem Zorn so leichthin aussprechen konnte. So war ihr Gut der Beschlagnahmung, ihre Gesundheit der Verbannung nach Sibirien und ihr Leben dem Gang aufs Schafott entgangen. Sie zollten mir ihren Dank und ihre Treue dafür.
Aber auf Dank und Treue konnte ich
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