Die Zarin (German Edition)
zu sehr später Stunde in meine Gemächer rufen lassen. Niemand sollte von ihrem Besuch bei mir wissen. Ihr Haar war wild und zerwühlt von ihrem von Altersträumen geplagten Schlaf, aus dem ich sie hatte reißen lassen. Ihre Haut aber leuchtete zart und weiß in die Stunden der Nacht: Die alte Erbschaft der Tscherkessentöchter, für die am Hof von Istanbul ein hoher Preis bezahlt wurde. Ihre Väter ritzten den weiblichen Säuglingen die Haut und tropften mit Kuhblattern verseuchtes Blut in den Körper ihrer Tochter. Die Krankheit, die dann bei den kleinen Mädchen ausbrach, war viel milder als die menschlichen Blattern, schützte sie jedoch ihr Leben lang vor der Ansteckung mit der entstellenden oder tödlichen Art dieser Krankheit. Sie war alt geworden, seitdem ich sie das letzte Mal dort im Bauch des Palastes, im Reich des Koches Johann Felten, gesehen hatte. Mehr, als bei ihm in der Küche zu arbeiten, hatte sie jedoch nie gewollt, obwohl ich sie für ihre Dienste über die Jahre reich belohnt hatte. Ich hatte ihr ein Haus aus Stein in einer dritten Querstraße hinter der Moika bauen lassen. Ihrer Tochter Jelena hatte ich eine Erziehung gegeben und ihr ein gutes Nadelgeld ausgesetzt. Ihre beiden Söhne waren heute Offiziere des Preobraschenskoje-Regiments. Persien, sagte sie. Gut, sie wollte noch diese Nacht ihr weniges Hab und Gut packen. Gut, meine Fürstin. Dort bin ich noch nicht gewesen. Dann glitt sie davon, ein fahler Schatten in der schimmernden Nacht meiner Stadt, der sich mühelos zwischen den Welten bewegte.
Peter wollte wohl seinen Augen nicht trauen, als er meinen Zug sich der Anlegestelle nähern sah.
Ich bewegte mich in dem Niemandsland zwischen dem Heute und dem Gestern, das unser Schicksal ausmachen kann. Als mir mein Stallmeister den Steigbügel hielt und zwei Stalljungen mich in den Sattel hievten, fühlte ich mich mit einem Mal wieder jung. Meine Stute fiel auf einen sanften Streich der Gerte hin in einen festen Schritt. Wir ritten aus dem Tor des Winterpala stes aus. Ich drehte mich nicht mehr um.
Wie würde Peter auf mein Erscheinen reagieren?
Mich augenblicklich in ein Kloster stecken lassen?
Mich mit Schimpf und Schande in meine Gemächer zurückjagen?
Mich vor Zorn mit seiner Knute schlagen?
Alles, so wußte ich, war an jenem Morgen möglich. Doch ich saß stolz zu Pferd, so, als hätte ich nichts zu fürchten.
Der Tag erhob sich klar und blau über dem Wasser, und Möwen schwirrten in der Hoffnung auf fette Beute durch die Luft. Überall wimmelte es von Menschen: Ich sah Matrosen, ihre klagenden Weiber, Schiffsjungen, die alle Hände voll zu tun hatten, und Gaukler mit bunten Vögeln und Affen auf der Schulter. Maultiere und Pferde versperrten den Lastkarren den Weg: Die Kutscher fluchten und spuckten Tabaksaft aus. Marketender und fliegende Händler boten alles feil, was man vor der Reise noch brauchen konnte: Stoffe, Teller, Töpfe, Seile, Werkzeug, Geräte, die man zur Seefahrt benötigte, Glücksbringer, Ikonen, Trank gegen Seekrankheit und andere Wehwehchen, krumme Dolche und Säbel persischer Herkunft. Durch diese bunte, brodelnde Menge streifte die bewaffnete Garde, die den Trubel beaufsichtigte. Die Luft war erfüllt von dem Gewirr aller Sprachen des riesigen Reiches, das Peter beherrschte. Unzählige Schiffe schaukelten nahe der Anlegestelle auf den Wellen. Ihre Rümpfe waren lang, mit drei Masten und einem flachen Boden, der nur wenige arschin Tiefgang hatte: Apraxin hatte mir erklärt, daß dies die Fahrt auf den seichteren Flüssen wie dem Kaspisee erlaubte. So konnten die zahlreichen Untiefen und Sandbänke der Ströme uns nicht zum Verhängnis werden. Ihre Flaggen tanzten im Wind, und Matrosen schwangen sich geschickt von Mast zu Mast. Es waren so viele Boote, daß nicht alle unmittelbar am Kai hatten anlegen können. Zu den Fregatten und flachen Lastkähnen draußen auf dem Wasser ruderten kleinere Boote hin. Sie waren so vollgeladen, daß sie tief im Wasser lagen. Aufseher und Seeleute wachten ängstlich über die Ladung und achteten genau darauf, wo und wie alles verladen wurde.
Ich sah Peter auf seinem Rappen schon aus der Ferne. Er saß mit seinem Kosakenführer über eine Karte gebeugt. Menschikow saß ebenfalls hoch zu Roß direkt neben ihm und war damit beschäftigt, aus vollem Hals Anweisungen zu brüllen.
Erst, als ich ihm schon ganz nahe war, sah Peter auf. Er musterte mich einen Augenblick, der mir wie eine Ewigkeit erschien. Sein Gesicht
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