Die Zarin (German Edition)
den Haaren. Was sollte ich nicht alles an Neuem von Bord des Schiffes bis zum Kaspischen Meer sehen!
An den Ufern der Newa warteten die Schiffe schon fest vertäut auf den Aufbruch am kommenden Morgen. Auf den Kais stauten sich die Lastkarren und die Träger, die unseren Zug begleiten sollten. Zudem ließ ich dieses Mal keinen Säugling zurück, an dessen Leben das Wohlergehen des Reiches hing. Meine Töchter waren fast schon erwachsene Frauen: Ich suchte Anna und Elisabeth Petrowna unangekündigt am Nachmittag vor unserem Aufbruch in ihren Gemächern auf. Ulrike Villebois war bei mir, und das schweigende Einverständnis, das zwischen uns herrschte, tat mir gut.
Ich war überrascht von dem Bild des Friedens, das sich mir bot: Natalja Petrowna saugte an der vollen Brust ihrer Amme, und ich bemerkte mit Freude ihre rosigen Wangen und ihr dichtes, braunes Haar. Sie sollte bald ihren dritten Geburtstag feiern. Neben ihr spielte die kleine Anna Leopoldowna, die Tochter der Herzogin von Mecklenburg. Sie sah jedoch ihrem Vater so wenig ähnlich, daß ich mich fragte, mit wem Jekaterina Iwanowna sich wirklich vergnügt hatte. Anna Petrowna selber saß mit einigen ihrer Damen in einer Ecke neben einem geöffneten Fenster. Sie hielt eine Stickerei auf dem Schoß und verglich ihre eigenen Stiche mit der feinen Arbeit ihrer Hofdame. Als sie mich sah, erhob sie sich und lief auf mich zu: »Mutter! Wie schön, dich zu sehen! Ich habe mir bereits Sorgen gemacht. Seitdem alle von dem Feldzug nach Persien sprechen, wußte ich nicht, ob ich dich noch sehen würde!« Sie strahlte mich an und errötete leicht. »Es gibt doch soviel zu besprechen!«
Ich umarmte sie und hielt sie dann auf Armeslänge von mir. Warum werden Kinder so schnell erwachsen? Hatte ich Anna nicht gerade erst das Leben geschenkt, ein Jahr vor der Schlacht von Poltawa? Anna Petrowna war nun vierzehn Jahre alt. Ihre Haut war zu meiner Freude rein und strahlend, und sie hatte die ausdrucksvollen Augen ihres Vaters geerbt.
»Laß mich dich ansehen!« sagte ich freundlich und drehte sie. Ich wußte schon, was sie so dringlich besprechen wollte – der junge Herzog von Holstein hatte bei Peter um die Hand einer seiner Töchter angehalten. Anna nahm als die Ältere ganz selbstverständlich an, daß die Anfrage ihr galt. Ich aber wußte, daß der junge Herzog liebeskrank nach Elisabeth war. Bei seinem Besuch im vergangenen Jahr war er die Newa vor dem Palast auf und ab gesegelt, in der Hoffnung, einen Blick auf meine jüngere Tochter werfen zu können. Stets hatte ich jedoch Anna auf den Balkon geschickt. Der junge Herzog war verschnupft abgereist. Seine Werbung hatte er dennoch aufrechterhalten.
Anna streckte die Arme aus und drehte sich lachend wie eine Tanzpuppe auf der Stelle. Sie trug ein Kleid aus rosa Seidenmousseline, das ihrem matten Teint und ihren hellbraunen Locken schmeichelte. Meine Tochter war eine junge Frau geworden, kein Zweifel. Annas Damen begannen, in die Hände zu klatschen und stimmten ein Lied an. Einige begannen, sich mit ihr im Takt zu drehen.
In diesem Augenblick hörten wir Elisabeths schneidende Stimme: »Wirklich, Anna, so albern wie du dich aufführst, würde kein Bauer in seiner isba dich heiraten wollen, geschweige denn ein Herzog!«
Ich drehte mich zu ihr: Sie saß an einem kleinen Tisch und hatte offensichtlich Domino mit Wilhelm Mons gespielt, der ihr gegenübersaß. Einige Steine lagen lose auf dem Brett aus Elfenbein und Ebenholz. Ehe ich sie noch für ihre häßliche Bemerkung zurechtweisen konnte, sprach Wilhelm Mons: »Wirklich, Zarewna Elisabeth! Was für eine unschöne Bemerkung. Was kann es für eine junge Frau Freudigeres geben, als sich auf den Ehestand mit einem jungen Mann aus gutem Hause vorzubereiten?« Er sah sie, wie mir schien, neckend an.
Zu meinem Erstaunen nahm sie seine Rüge ohne Widerspruch hin und schob nur schmollend die Lippen vor. Es war lange her, daß ich Wilhelm Mons das letzte Mal gesehen hatte. Er strahlte Gesundheit und Kraft aus. Am Hof scherzte man über die Anhänglichkeit meiner Tochter zu dem jungen Mons. Bisher hatte ich nichts auf das Gerede gegeben. Doch wo Rauch ist, ist auch Feuer: Nun konnte ich selber kaum meine Augen von ihm lösen. Elisabeth schnaubte wie ein junges Pferd und klapperte mißmutig mit einem Stein auf dem Spielbrett. Sie hielt die Augen gesenkt. Ihre runden Wangen brannten unter einer plötzlichen Röte, und ihr puppig hübsches Gesicht verzog sich.
»Willst du mir
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