Die Zarin (German Edition)
Lederhäute, Ballen mit Flachs und kleine Beutel mit einem seltsamen weißen Pulver, das berauschend wirkte und einen heiter stimmte – ich merkte sofort, wenn Wassili davon geschnupft hatte. Er hörte dann nicht mehr auf zu lachen, griff geil nach allem, was Röcke trug, und Praskaja konnte am folgenden Morgen kaum gerade laufen, weil Wassili sie die ganze Nacht lang besprang.
Einen zweiten Lagerraum hielt er jedoch fest verschlossen. Nur durch Sofia wußte ich, was für Schätze sich verbotenerweise in seiner kühlen Dunkelheit verbargen: feinste Zobel- und Nerzpelze, Fässer mit Wodka und schwere Behälter voller Eis, das den darin gelagerten Kaviar kühl hielt. Wassili riskierte mit diesem geheimen Lagerraum Kopf und Kragen: Der Handel mit solchen Waren war allein dem Zaren erlaubt! Auch wenn wir damals nicht im Russischen Reich lebten, so konnten die Männer des Zaren ihm dennoch die Nase abschneiden und ihn rädern oder pfählen für dieses Lager. Wenn es um Gut und Einkommen des Zaren ging, wurde nicht gescherzt.
Aber gerade dieser verbotene Handel erlaubte ihm seine bequeme Lebensart.
Wassilis Kunden spiegelten das bunte Völkergemisch in Walk wider. Wir Mägde stießen uns gegenseitig von den Fenstern und den Türen, um die Karren und die Besucher im Hof besser sehen zu können. Sie brachten Neuigkeiten aus der Welt mit, die unweigerlich ihren Weg zu uns in die Küche fanden. Das tollste Gerücht war, daß der Zar lange Zeit gar nicht in Rußland gewesen, sondern in Europa unter dem Namen Peter Michailow gereist war. Angeblich lebte er dort ebenso schlicht wie wir und lernte, wie man Boote baut. Man lachte herzlich über diese Geschichte – wie konnte man annehmen, daß jemand, der gesunden Geistes war, ein so reiches Leben für unser elendes Dasein eintauschte? Dagegen sprach man voll Bewunderung von dem Kind, das vor zwei Jahren den schwedischen Thron bestiegen hatte – Karl XII. Es hieß, er marschiere von früh bis spät mit seinen Truppen und zeige schon jetzt eine außergewöhnliche Weisheit. Sein Land stehe zu ihm wie ein einziger Mann, sie seien dort alle baumlang, bärenstark und machten zehn Schritte, wo wir nur einen machten. Sein Land im Norden liebte den Jungen abgöttisch – einen echten König eben!
Ich hörte mir die Geschichten gerne an, aber letztendlich hatte ich doch mein eigenes Leben, mit dem ich zurechtkommen mußte. Ich arbeitete so viel, daß mir kaum ein Augenblick für Heimweh nach meiner Familie blieb. Schon nach einigen Monaten im Haus hatte ich den Eindruck, daß ihre Gesichter in meiner Erinnerung verschwammen. Es war ein heißer trockener Sommer, in dem sich das Korn auf den Feldern unter den brennenden Sonnenstrahlen entzündete. Wie es ihnen wohl ergehen mochte? Es herrschte Sorge um die Ernte, die auf den Feldern verdorrte.
Gott sei Dank aber konnten sich die Seelen in Zeiten der Not auf den Vorrat ihrer Pomeschtschiki verlassen. Die Herren sorgten für das Überleben der Seelen, und die Keller des Klosters waren voll, so sagte ich mir. So vergaß ich meine Sorgen und bemühte mich statt dessen, besser Russisch zu lernen. Meinen offensichtlich deutschen Tonfall wurde ich jedoch nicht los, was für die anderen Bewohner des Hauses eine unerschöpfliche Quelle der Heiterkeit war.
Olga bekam ihr Kind, einen kleinen Jungen, der jedoch ohne Namen und ungetauft blieb. Er ertrank schon nach zwei Wochen, als Praskaja ihn im Fluß badete. Ich hatte den Verdacht, daß sie den Kleinen bewußt aus den Händen hatte gleiten lassen. Olga weinte drei Wochen lang. Aber vielleicht war es besser so für sie – wenn sie Glück hatte, gab es eines Tages doch noch einen ordentlichen jungen Mann für sie. Aber vier Monate später, während eines späten, kalten und windigen Herbstes, in dem sich schon früh Eis auf dem Fluß bildete, war sie wieder in gesegneten Umständen.
Als Wassili für eine Woche auf Reisen ging, nutzte Praskaja die Gelegenheit und prügelte Olga unter einem lächerlichen Vorwand mit einer Rute weich. Am nächsten Morgen war das arme Mädchen verschwunden. Ich hatte sie die Nacht über in ihre Decke weinen hören, aber es war mir nicht gelungen, sie zu trösten. Man fand sie zwei Tage später, als der Fluß sie anspülte. Sie mußte ein Loch in das Eis am Fluß geschlagen haben, um sich in dem eiskalten Wasser zu ertränken. Den Anblick ihres leblosen Körpers werde ich nie vergessen: Kraut hing in ihren Haaren und die Fische und Wasserratten hatten an ihren
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