Die Zarin (German Edition)
über meinen Arm. Doch ich hatte keine Zeit, mich um mich selbst zu sorgen. Grigori stöhnte noch immer vor Schmerz, und ich konnte sehen, wie ihm der Schaum vor die Lippen trat. Ein Anfall! Hastig versuchte ich, ihm seine Fesseln zu lösen, und er fiel zu Boden. Kaum berührte sein zerschundener Rücken das Stroh, heulte er vor Schmerz auf. Neben dem Balken, an den er gefesselt worden war, lag noch Wassilis Hemd. Ich griff es und faltete es zu einem Kissen unter Grigoris Kopf.
Dann kam der Anfall. Seine Augen traten aus ihren Höhlen, und sein Gesicht verzerrte sich unmenschlich. Seine Arme und Beine zuckten, und er schlug ohne jede Kontrolle um sich. Er gurgelte unverständliche Worte, und aus seinem Mund trat Blut – er mußte sich auf die Zunge gebissen habe. Er sah wahrhaftig aus wie vom Teufel besessen! Im ersten Augenblick fuhr ich zurück und schlug das Kreuz über ihn. Dann aber erfaßte mich Mitleid und besiegte meine Angst. Was konnte ich tun? Ich erinnerte mich daran, wie ich meine kleineren Geschwister beruhigt hatte, wenn sie vor Wut sinnlos weinten und um sich schlugen.
So faßte ich mir ein Herz, vergaß das Blut, das über meinen Arm floß und nahm seinen zuckenden, schäumenden Kopf fest in beide Hände. Ich hatte den Eindruck, seine Augen erkannten mich für einen Augenblick. Dann glitten sie wieder ins fremde Nichts, in das ich ihm nicht folgen konnte, und verdrehten sich wild. Nun drückte ich den Kopf fest an meinen Busen und wiegte ihn hin und her, hin und her. Dabei merkte ich, wie mir selber Tränen über das Gesicht liefen. Sein Körper zappelte weiter, aber langsam beruhigte sich der Teufel in ihm, und er lag schließlich nach langer, langer Zeit reglos in meinen Armen. Sein Leben war nun in der Hand Gottes. Ich ließ ihn nicht los, sondern wartete geduldig und spürte seinen Atem kalt und stoßweise zwischen meinen Brüsten. So mußte ich eingeschlafen sein.
Als ich erwachte, war Grigori tot.
Ich hatte den ganzen Tag über nur Angst, nichts als furchtbare Angst. Das Gefühl griff mit eiserner Faust nach mir, verknotete meine Eingeweide, mein Schweiß floß bitter, und meine Knie waren weich. Nie zuvor und nie wieder seitdem habe ich Furcht so stark empfunden.
Was hatte Wassili vor? Ich kannte ihn mittlerweile und wußte nun, wozu er im Zorn fähig war. Ich sah ihn den ganzen Tag lang nicht. Wir weinten und trauerten in der Küche um Grigori, und die Stimmung war gedrückt. Sofia mu sterte mich einige Male eindringlich. Gerade an diesem Abend war es meine Aufgabe, in der Küche über Nacht auf das Feuer zu achten! Im Winter ließen wir es nie ausgehen, und die Glut der Kohlen machte den großen Raum zum wärmsten Platz im Haus. Das bedeutete jedoch, daß ich mich nicht in der Mägdekammer einsperren konnte: Ich war ihm schutzlos ausgeliefert.
Sofia flüsterte mir am Abend, ehe sie selber zu Bett ging, zu: »Sei vorsichtig. So zornig habe ich ihn noch nie gesehen.«
Ich nickte nur, da meine Stimme vor Furcht in meinem Hals gefroren war. Dies war vielleicht der letzte Abend meines Lebens!
Ich schrubbte stumpfen Sinnes die Oberfläche des Herdes in der dunklen Küche mit etwas Asche und einer groben Bürste. Schließlich, als alles rein war und mir doch die Augen vor Erschöpfung zufallen wollten, rollte ich mich auf einer Decke am Boden an den Herd.
Ich konnte nicht schlafen. Bilder jagten wie toll durch meinen Kopf: Olga, ihr Leib geschwollen von Wassilis Bastard. Der leblose kleine Körper ihres Jungen. Olgas eigener Körper, ohne Augenlider. Grigori – vor allen Dingen Grigori und der furchtbare Anblick, den sein geschundener, toter Körper bot. Ich wollte nicht sterben! Nicht so, und nicht jetzt.
Dann hörte ich mit einem Mal Wassilis Schritte, die sich schnell und drohend näherten. Er riß mich roh von meinem Lager und drückte mich rascher, als ich mich wehren konnte, gegen die Wand.
»Jetzt, mein Mädchen, wirst du für deine Frechheit bezahlen!« zischte er. Er war mir jetzt ganz nahe, und sein Atem roch nach Wodka. Er hatte ohne Zweifel den ganzen Tag getrunken und war vollkommen unberechenbar. »Schau, was ich für dich habe! Da wirst du maunzen wie die Katze, die du bist!«
Er hob den Arm und schwenkte vor meinen Augen eine Peitsche mit mehreren Riemen daran. In jedem der Riemen waren Knoten. Mein Blut gefror mir in den Adern vor Schrecken. Mit Peitschen wie dieser wurden Diebe zu Tode gebracht. Ein einziger Schlag riß einem die Haut in Streifen ab.
»Ja«,
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