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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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langsam durchlässig, und meine Socken sogen sich voll Feuchtigkeit. Ich lehnte mich müde und schwer atmend gegen die nächstbeste Wand und strich mir mit den Händen über das Gesicht. Tränen und Rotz klebten an meinen Handflächen. Ich zitterte vor Kälte – und ich begriff erst da, wie vollkommen mein Unglück war: Ich hatte meinen Mantel, meine Handschuhe und mein Bündel in dem Hurenhaus gelassen! Rasch tastete ich an meine Seite – auch mein Beutel mit dem Geld war weg! Er mußte mir in dem Gewirr in dem Freudenhaus vom Gürtel geglitten sein. Was sollte ich jetzt tun? Ich war verloren. Ohne den Mantel, die Handschuhe und das Geld konnte ich die Nacht nicht überleben.
    Ich ließ mich auf der Schwelle des Hauses nieder, vor dem ich stand, und vergrub das Gesicht in meinen Armen. Ich war sogar zu erschöpft, um noch weiter unglücklich zu sein. Ja, ich gebe es zu: Ich fügte mich in mein Schicksal und wartete auf einen raschen, gnädigen Tod. Hier in der Kälte konnte es nur wenige Stunden dauern!
    Die Straßen waren leer, bis auf wenige Menschen, die hastig ihrer Wege gingen. Eine Gruppe schwedischer Soldaten marschierte an mir vorbei. Ich zog mich in den Schatten des Hauseinganges zurück, so daß das Licht ihrer Laterne mich nicht erfaßte. Die rechtschaffenen Bürger von Marienburg saßen bei ihrer Abendsuppe. Nur Gauner, Bettler und Tagediebe waren jetzt noch auf den Straßen zu finden. Mein Magen knurrte. Wann hatte ich das letzte Mal etwas gegessen? Etwas tschai und ein wenig kalter Grießbrei mit Honig heute morgen auf dem Fuhrwerk, das war alles.
    So saß ich dort und nahm mit jedem Augenblick, der verstrich, Abschied von meinem Leben. Dafür also hatte mich meine Mutter, die ich nie gekannt hatte, unter Schmerzen geboren. Dafür hatte sie ihr Leben für meines gegeben. Ich lebte in einer Zeit, die keine Gnade mit jungen Mädchen kannte, die alleine in der Welt standen. Aber ich war ja nicht einmal wie jedes andere junge Mädchen: Ich hatte getötet. Und all dies, so war ich überzeugt, konnte nur die Strafe für meine Tat sein. Jetzt sollte auch ich sterben. Meine Hände und Füße wurden zuerst gefühllos. Dann konnte ich die Arme schon nicht mehr bewegen, so schwer wurden sie mir. Mein Magen knurrte wieder. Ob ich wohl eher vor Kälte oder vor Hunger sterben sollte? Egal, solange mich nur niemand mehr dabei störte – und schnell sollte es gehen!
    Die Straße war dunkel und still. Alle Türen und Fenster der niedrigen Häuser hinter ihren Höfen waren fest verschlossen. Nur aus der Holzkirche gegen über dem Haus, vor dem ich saß, hörte ich Stimmen ein Kirchenlied anstimmen. Ich schloß die Augen. Mit so einer wie mir wollte Gott bestimmt nichts mehr zu tun haben. Vor Nässe und Kälte durchliefen Schauer meinen Körper. War das der erste Todesfrost? Die Stimmen in der Kirche wurden lauter – oder waren das schon die Engel im Himmel?
    Ich schlug die Augen wieder auf. Die Tür der Kirche stand jetzt offen, und ein warmes Licht fiel nach draußen auf den verschneiten Weg. Es war ein kleines Gebäude, das mit blaugrauem Holz verkleidet war. In den niedrigen, breiten Fenstern brannten Kerzen aufrecht und hell in der klammen Dunkelheit und den wirbelnden Flocken. Der Gottesdienst mußte vorüber sein: Im Eingang der Kirche erschienen nun mehrere wohlgekleidete Männer und Frauen.
    Ich rutschte etwas tiefer in den Schatten – sie sollten mich hier nicht sehen!
    Zu der Gemeinschaft trat nun ein Mann aus der Kirche. Er war hochgewachsen, und ich konnte sehen, daß er unter seinem schwarzen Mantel einen Talar trug. Er mußte der Pastor einer der lutherischen Kirchen in Livland sein.
    Er stand auf der Schwelle und reichte einem Mitglied seiner Gemeinde nach dem anderen die Hand. Mit jedem wechselte er ein freundliches Wort. Es waren viele Menschen, die mit ihm sprechen wollten. Trotz meiner Schwäche und der Dunkelheit konnte ich erkennen, wie gleichbleibend lächelnd und freundlich warm er mit ihnen redete.
    Seine Gemeinde verließ nun die Kirche und stand noch kurz in kleinen Gruppen auf der Straße zusammen, ehe die Menschen langsam auseinandergingen. Ich zog meine Knie an. Auf keinen Fall sollten sie mich hier ent decken! Sie sahen mich aber doch im Vorbeigehen – einige der weiten Röcke streiften mich fast, wurden aber rasch und angeekelt zurückgezogen. Die Männer setzten ihre Stiefel knirschend neben mir in den Schnee, ohne mich jedoch zu beachten.
    Sonst geschah nichts.
    Schließlich stand

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