Die Zarin (German Edition)
Karoline Glück geerbt hatte und die ich hatte mitnehmen wollen, auseinander. Dann faltete ich sie wieder zusammen. Dies tat ich so lange, bis ich vor Erschöpfung einschlief.
Mein Leben war mir sinnlos geworden, von einem Augenblick auf den anderen.
Mir wurde zum ersten Mal zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr übel. Ich übergab mich heimlich in der Küche. Zuerst dachte ich, ich hätte zuviel von Karoline Glücks Plätzchen und der Gänsestopfleber am Weihnachtstag genascht. Doch einige Tage später blieb auch meine Blutung aus. Ich erinnerte mich sehr wohl an Olga und hatte keinen Zweifel mehr: Ich trug ein Kind von Johannes unter dem Herzen.
Jedes Mal, wenn Johann Trubach ins Haus kam, um mir kleine Leckereien und buntes Garn als Geschenk zu überreichen, hatte ich geschwollene und verweinte Augen. Am Abend vor dem Dreikönigstag stand mein Entschluß fest: Ich wollte versuchen, mich von meiner Verlobung mit ihm frei zu machen.
Er kam, um mich zu einem Gang in die Stadt abzuholen. Ich war froh, daß er bei seinen Besuchen nicht seine Uniform, sondern nur einen schlichten dunk len Rock, hohe Lederstiefel und ein sauberes Hemd mit einer bis zum Hals geknöpften Weste trug. Um den Hals hatte er sich ein reines Tuch geschlungen. Gegen die Kälte schützte er sich mit einem Mantel aus doppelt gelegtem Stoff, der einen großen Pelzkragen hatte. Karoline ließ mich vor seinem Kommen meine Hände über den Kopf heben, so daß sie für Johann zart und weiß aussahen, und kniff mir in die Wangen, bis sie rosig und voll waren. Sie selbst half mir in einen tulup und ermahnte mich: »Sei bald wieder da, es gibt noch viel vorzubereiten für morgen!«, ehe ich an Johanns Arm davonging.
Ich erinnere mich noch an die Straßen von Marienburg an jenem Nachmittag, denn kurz danach war der Krieg noch sehr viel deutlicher zu spüren, und jegliche heitere Geschäftigkeit verschwand. Der Gestank der Abwässer und der Menschen stand wie eine Wolke in der kalten, klaren Januarluft – die Straßen waren vereist, und so konnte nichts absickern, sondern verfärbte nur den Schneematsch, auf den wir traten. Ich paßte vorsichtig auf, wo ich die von Karoline geliehenen Stiefel hinsetzte, um sie nicht allzusehr zu verschmutzen. Fuhrleute trieben mit lauten Rufen, Zungenschnalzen und auch Peitschenknallen die Ochsen und Maultiere vor ihren Karren an. Die Bäckereigesellen hatten rote Ohren unter ihren großen Mützen und boten Dreikönigspasteten an, in welche Glücksbringer eingebacken waren. Glück konnten wir alle brauchen, und so erstand ich einige für das Pfarrhaus. Ein Bauer stand an einer Hausecke und hielt zwei Kaninchen an den Ohren hoch, so daß die vorbeigehenden Leute sie begutachten konnten. Er hatte sie wohl eben im Wald gewildert, denn das Blut quoll ihnen noch frisch aus den Ohren. Wohlanständige Bürger zogen voreinander den Hut, während sie verschämt einen Handkarren voll Brennholz hinter sich herzogen. Wer nicht in den Wald konnte, brach Zweige von den Büschen in und vor der Stadt, um sein Heim zu heizen. Mir fiel auf, wieviel mehr Bettler mit dem Krieg in die Stadt gekommen waren: Sie drückten sich in die Ecken und stritten sich um die besten Plätze mit den losen Mädchen, die ihre Tugend zu Markte trugen. Entlang der Straßen und Plätze hatten die fahrenden Händler ihre schmutzigen, zerrissenen Zelte aufgeschlagen, die nur aus einigen gefetteten Baumwollplanen bestanden. Ein Kastanienröster drehte dort mit schwarz verbrannten Fingerkuppen die Früchte in der glühenden Kohle, bis sie aufplatzten. Johann kaufte mir eine Handvoll davon, und eine Weile knackten wir schweigend die Schalen und genossen den weichen, mehligen Geschmack der Kastanien.
Dann jedoch fragte er mich geradeheraus: »Martha, weshalb hast du immer so rote und verweinte Augen, wenn ich dich sehe? Bist du nicht glücklich über unsere Verlobung? Ich werde dir ein guter Mann sein, das verspreche ich dir!« Er griff nach meiner Hand, die in dicken Handschuhen steckte. Selbst durch das Leder hindurch spürte ich den wohlmeinenden Druck seiner Hand.
Ich antwortete ihm ohne Umschweife: »Johann – ich kann dich nicht heiraten! Ich weiß, daß du ein guter Mann bist, aber …«
Er hielt an und legte seine Hände auf meine Schultern. »Es ist der junge Pfarrerssohn, nicht wahr? Ich habe euch in der Kirche gesehen. Er ist ein hübscher Kerl, wenn auch ein bißchen leichtsinnig. Vergiß ihn, Martha, das sage ich dir! Er hat sein Leben in
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