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Die Zarin (German Edition)

Die Zarin (German Edition)

Titel: Die Zarin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Alpsten
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Kopf angelegentlich gesenkt, als ich an ihnen vorbeiging. Dieses Zusammentreffen konnte ich mir wohl ersparen!
    Ich sah mich in Richtung Stadt um. Die Felder vor dem Stadtwall waren vollkommen niedergetrampelt und roh abgeerntet worden – der Zar mußte seine Tausende von Männern ja ernähren! Rund um die Stadt gab es kein Gran Korn mehr zum Mahlen, kein Vieh zum Schlachten, kein Huhn, das gerupft werden konnte, und keine Obstbäume, die abgeerntet werden konnten. Marienburg selber stand noch, aber ich konnte dichte Rauchschwaden erkennen, die hinter den Stadtmauern aufquollen. Die Garnison selbst mußte brennen, und die Flammen leckten über die umliegenden niedrigen Häuser aus Holz, die noch standen. Das Feuer griff auf die gesamte Stadt über. Trotz der hereinbrechenden Nacht – die Zeit der hellen Abende war schon bald vorüber – sah ich noch immer einen steten Strom von Menschen aus dem Stadttor ziehen. Sie waren mit Ballen und Bündeln beladen. Die reichen Bürger der Stadt zogen samt ihren Bediensteten von dannen: Sie hatten ihr Hab und Gut auf Ochsen oder Maultierkarren geladen. Die Armen, die Verkrüppelten und der Auswurf von Marienburg humpelten ihnen hinterher, ihren kleinen Besitz fest unter den Arm geklemmt. Waren dort unter all den Menschen auch die Glücks? Der Russe hatte so einen langen Arm, wohin wollten sie ihm ausweichen?
    Ich richtete meinen Blick fest nach vorne.
    Menschikows Helfer ging mir wortlos durch die Soldaten voraus. Ich hielt mich sehr gerade und tat, als hörte ich die Witze und die Pfiffe der Männer nicht, die rechts und links unseres Weges lagen. Jeder Schritt schmerzte noch immer nach den Ereignissen des Morgens in Marienburg. Ich fühlte mich wie von den Wölfen unseres Winters zerrissen und hoffte, daß meine Peiniger unter der Peitsche gestorben waren. Fünfzig Schläge mit der neunschwänzigen Katze – das konnte kein normaler Mensch überleben, das wußten sowohl Scheremetjew als auch ich.
    So kam ich im Zelt von Alexander Danilowitsch Menschikow an. Mir gingen die Worte, die Scheremetjew mir mit auf den Weg gegeben hatte, nicht aus dem Sinn. Ich hatte sie aufgesaugt wie einer der Schwämme, die ich im Bad über meine Haut gleiten ließ, das Wasser.
     
    Menschikows Zelt stand hellerleuchtet im fahlen Licht des Abends. Rechts und links des Einganges hingen Fackeln, von denen das Pech tropfte. Zwei Soldaten standen mit aufgesteckten Bajonetten Wache. Beide Männer standen stramm, als wir an ihnen vorübergingen. Als mein Begleiter den Vorhang zum Eingang hob, blieb ich augenblicklich verblüfft stehen: Welch ein Überfluß hier herrschte! Der junge Mann bedeutete mir, hier auf weitere Befehle zu warten, und verschwand im Nebenzelt, das durch einen Durchgang mit dem Raum verbunden war, in dem ich stand. Es war wohl an jenem Abend, in jenem Zelt, daß ich zum ersten Mal wirklich schöne Dinge sah. Sicher, für meine mehr als bescheidenen Begriffe hatte schon Wassili in einem Himmelreich von Reichtum und Überfluß gelebt. Aber ich lernte rasch: Die Glücks verstanden es trotz eines weniger offensichtlichen Wohlstandes auch, gut zu leben, und die Bequemlichkeit und die Wärme meines Daseins in ihrem Haus hatte mich empfänglich für die Annehmlichkeiten und die Schönheiten des Lebens gemacht: Ich wollte nie wieder so blutarm sein wie als junges Mädchen mit meiner Familie in Kreuzberg.
    Der Krieg machte vor dem Eingang zu Menschikows Zelt halt. Anstatt des schlichten Feldbettes hatte er Liegen aus reichgeschnitztem, dunkel glänzendem Holz in seinem Zelt stehen. Sie ruhten auf vergoldeten Tierköpfen, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Die Tiere hatten einen Wust aus Haar und Fell um ihre Köpfe. Ihre Mäuler mit den scharfen Zähnen waren weit aufgerissen. Auf den Liegen lagen bestickte, weiche Decken, reichverzierte Kissen mit goldenen Quasten und Borten und sanft glänzende, silberfarbene Felle ausgebreitet. Meine nackten, nach dem Gang durchs Lager wieder schmutzigen Füße sanken leicht in die weichen, dicken Teppiche ein. Auch Menschikow hatte einen Schreibtisch so wie Scheremetjew, aber darauf standen neben den hohen, wie Gold schimmernden Kerzenhaltern feingeschliffene Kristallflaschen und mehrere Schalen: Sie waren mit warm duftendem Honiggebäck und frischem Obst gefüllt. Vor den Schalen lagen die Karten, von denen Menschikow gesprochen hatte: Sie waren aufgefaltet, aufgeklappt, ineinandergerollt und oder noch in festes Papier gewickelt. Ich trat näher. Bei

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