Die Zauberschatten - Goryydon #2 (German Edition)
überdachten Brunnen in der Mitte erwies sich als gewaltig. Neben dem Burgtor stand eine Schmiede, die einem Geschichtsbuch entsprungen sein musste. Der Schmied trug eine Lederschürze, die bis zu seinen Unterschenkeln reichte. Seine nackten Gliedmaßen glänzten vor Schweiß und waren rußverschmiert.
Michaelas Blick wanderte weiter. Die Frauen trugen lange Kleider, zumeist aus einfachen Stoffen und mit hellen Schürzen. Männer in ebenso einfach wirkenden Hosen und Hemden eilten geschäftig umher. Aus einem Fenster stieg Dampf auf, dem Essensgeruch anhaftete. Michaela vermutete die Küche dahinter. Vor dem Gebäude saßen zwei Frauen und rupften Hühner. Die kahlen Vögel warfen sie in einen großen Korb, der zwischen ihnen auf der Bank ruhte.
Aus einem lang gezogenen Gebäude drangen Tierstimmen, offenbar hielt man dort Kühe, Schweine und Geflügel, vermutlich auch die Pferde.
Hinter dem Stallgebäude johlten Männer.
Michaela, Ku’guar und die Soldaten wurden sofort von aufgeregten Burgbewohnern umringt, als sie stehen blieben. Bald hatte sich eine dichte Menschentraube um sie gebildet. Die Gesichter der Zuschauer schwankten zwischen Furcht, Sorge und Wut. Sie flüsterten miteinander und die Leute in den hinteren Reihen reckten die Köpfe, um einen Blick auf Kalira zu erhaschen. Die geflüsterten Unterhaltungen glichen Maschinengewehrsalven. Alle redeten durcheinander, Michaela verstand nichts, hörte nur Angst und Beunruhigung heraus.
Diener eilten herbei und hatten Mühe, den Kreis zu betreten. Schließlich erreichten sie Kalira und trugen sie auf ihrem Lager davon. Die Menschenmenge teilte sich und ließ die Dienstboten durch.
»Wohin wird sie gebracht?« Michaela versuchte hinterherzulaufen, aber die beiden Krieger hatten offenbar anderes mit ihr und Ku’guar im Sinn.
Ein bedrohlich aussehender Hüne mit eisgrauem Vollbart kam auf sie zu. »Du hast Ihre Majestät hergebracht?«, fragte er Ku’guar.
Dieser nickte und deutete mit einer Kopfbewegung auf Michaela. »Wir gemeinsam.«
»Der General ist auf dem Übungsplatz«, wandte sich der Mann an Timor und Gero. »Führt die beiden zu ihm, und richtet ihm aus, dass die Königin und ihre Begleiter gefunden wurden.«
Die Soldaten signalisierten ihr und Ku’guar, ihnen zu folgen.
Sie umrundeten die Stallgebäude.
Dahinter befand sich eine riesige Rasenfläche. In einer Ecke lagen Stöcke, die sie an Besenstiele erinnerten, daneben, ebenso säuberlich aufeinandergeschichtet, Holzschwerter, Schilde, Äxte und Pfeile ohne Spitzen. Diese Art Waffen kannte sie von diversen Kampfkunstveranstaltungen ihrer Schwester. Sie hob ihren Blick und sah auf den Kampfplatz zwei Personen gegeneinander fechten.
Einige Männer trainierten auf separaten Plätzen, ungeachtet des Treibens auf dem Hauptplatz. Die meisten jedoch scharten sich um die beiden Kämpfer auf dem großen Platz und feuerten sie mit Pfiffen und Rufen an.
Timor stupste Michaela an und deutete auf die Ansammlung. Er legte seine Hand auf ihren Rücken und schob sie darauf zu. Mit der anderen drängte er einzelne Kameraden beiseite. Auf diese Weise bahnten sie sich einen Weg durch die Zuschauer.
Michaela blieb staunend stehen.
Ihren Augen bot sich ein wildes Duell, das jeden Schaukampf in den Schatten stellte. Ein langhaariger Mann focht gegen eine dunkelblonde Frau. Michaela blinzelte. Die Frau erinnerte mit ihrem biegsamen, zierlichen Körper an ihre Schwester, sie bewegte sich sogar wie sie …
Michaela erstarrte, als ihr Gehirn die Informationen ihrer Augen bestätigte.
»Juliane!«
*
Julianes Kopf flog herum, als sie die vertraute Stimme vernahm. Für einen Moment fühlte sie sich wie gelähmt. Sie zwinkerte, öffnete und schloss den Mund mehrmals, ohne zu sprechen. Unmöglich, das konnte doch nicht sein?
Michaela kicherte.
Arans Parierstange schob sich unter Julianes Knie. Die Kraft und der Schwung der Bewegung brachten sie zu Fall. Sie stöhnte, als sie hart auf dem Boden aufschlug. Sie benötigte einen Moment, um sich zu orientieren. Sie gewahrte Arans ausgestreckte Hand und ergriff sie.
»Lass dich niemals ablenken.« Er zog sie hoch. »Nicht einmal, wenn die Welt um dich herum in Stücke birst.«
Sie nickte geistesabwesend, winkte gleichzeitig ab und starrte Michaela an.
»Kennst du dieses Mädchen?«, erkundigte er sich verwirrt.
»Das ist meine Schwester Michaela.«
Ihre für gewöhnlich topgestylte kleine Schwester wirkte verändert. Das kurze Haar stand in alle
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