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Die Zeit: auf Gegenkurs

Die Zeit: auf Gegenkurs

Titel: Die Zeit: auf Gegenkurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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automatischen Schaufeln einsetzte. Er drehte sich wieder zu Sebastian Hermes um und rief über den Lärm der Schaufeln hinweg: »Ich glaube, Sie machen – vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet – einen großen Fehler, wenn Sie Peak ausgraben, solange er noch tot ist. Es ist riskant; es stört den natürlichen Prozeß der biochemischen Rekonstruktion. Es ist allgemein bekannt, daß sich der Körper nicht erholt, wenn er zu früh ausgegraben wird; er muß dort unten bleiben, in der Dunkelheit, der Kälte, vor dem Licht geschützt.«
    »Wie Joghurt«, spottete Bob Lindy.
    »Und außerdem«, fügte Dr. Sign hinzu, »bringt es Unglück.«
    »Unglück«, wiederholte Sebastian belustigt.
    »Er hat recht«, stimmte Bob Lindy hinzu. »Es heißt, daß die Kräfte des Todes loslassen werden, wenn man einen Toten zu früh ausgräbt. Die Kräfte werden zur Unzeit in der Welt freigesetzt, und sie sammeln sich immer um eine einzige Person.«
    »Um wen?« fragte Sebastian. Aber er kannte den Aberglauben; er hatte das alles schon einmal gehört. Der Fluch fiel auf die Person, die den Toten ausgegraben hatte.
    »Es erwischt Sie«, sagte Bob Lindy; er schnitt eine Grimasse und grinste.
    »Wir begraben ihn wieder«, erklärte Sebastian. Die Schaufeln hatten ihre Arbeit eingestellt; Lindy beugte sich über die flache Grube und griff nach dem Rand des Sarges. »Im Keller. Unter dem Vitarium Flasche des Hermes.« Er trat näher; zusammen mit Dr. Sign und Pater Faine half er Lindy, den feuchten, modrigen Sarg nach oben zu hieven.
    »Vom religiösen Standpunkt aus betrachtet«, sagte Pater Faine zu Sebastian, während Lindy geschickt den Sargdeckel abschraubte, »ist es ein Verstoß gegen Gottes Moralgesetz. Die Wiedergeburt braucht ihre Zeit; von uns allen müßten Sie das am besten wissen – schließlich haben Sie es selbst erlebt.« Er öffnete sein Gebetbuch. »Mein heutiger Text«, erklärte er, »stammt aus dem Prediger Salomon. ›Laß dein Brot über das Wasser fahren, so wirst du es finden nach langer Zeit.‹« Er sah Sebastian streng an und las weiter.
    Sebastian Hermes überließ die anderen ihrer Arbeit und wanderte über den Friedhof, wie immer sinnend, forschend, horchend … aber auch diesmal zog es ihn zu dem einen Grab, zu dem einen Ort, der wirklich wichtig war. Zu dem prunkvollen granitenen Gedenkstein des Anarchen Thomas Peak; er konnte sich nicht dagegen wehren.
    Sie haben recht, dachte er. Doktor Sign und Pater Faine; es ist medizinisch ein verflucht großes Risiko und ein glatter Gesetzesbruch; nicht nur ein Verstoß gegen das göttliche, sondern auch gegen das bürgerliche Gesetz. Das weiß ich alles, dachte er; sie brauchen es mir nicht zu sagen. Meine eigenen Leute, dachte er düster, und sie stärken mir nicht den Rücken.
    Lotta wird es tun, erkannte er. Darauf konnte er sich stets verlassen, auf ihre Unterstützung. Sie würde es verstehen; er konnte es nicht riskieren, den Anarchen nicht auszugraben. Ihn im Grab zu lassen, hieße, Ray Roberts’ Jünger der Macht zu einem Mord einzuladen. Eine gute Entschuldigung, dachte er mürrisch. Ich kann es rationalisieren; es geschieht zur Sicherheit des Anarchen.
    Aber wie gefährlich ist Ray Roberts wirklich? fragte er sich zum wiederholten Mal. Wir wissen es immer noch nicht; wir wissen nur, was die Zeitungen schreiben.
    Er kehrte in seinen Schwebewagen zurück und wählte seine Privatnummer.
    »Hallo«, meldete sich Lotta mit ihrer Kleinmädchenstimme; wie immer schien das Vidfon sie einzuschüchtern. Dann sah sie ihn und lächelte. »Ein neuer Auftrag?« Sie konnte den Friedhof hinter ihm erkennen. »Ich hoffe, diesmal ist es ein lohnender.«
    »Hör zu, Liebes«, sagte Sebastian, »ich bitte dich nicht gern um diesen Gefallen, aber ich habe nicht die Zeit, um mich selbst darum zu kümmern; wir haben hier alle Hände voll zu tun, und danach …« Er zögerte. »Danach müssen wir auf einen anderen Altgeborenen warten«, schloß er ohne ihr zu verraten,
    um wen es ging.
    »Was soll ich für dich tun?« Sie schwieg erwartungsvoll.
    »Ich möchte, daß du noch einmal Nachforschungen in der Bibliothek anstellst.«
    »Oh.« Es gelang ihr – fast – ihr Unbehagen zu verbergen. »Ja, gerne.«
    »Diesmal brauchen wir alles Material über Ray Roberts.«
    »Ich besorge es«, versprach sie, »wenn ich kann.«
    »Wie meinst du das, wenn du kannst?«
    »Ich … ich bekomme dort Angstzustände«, sagte Lotta.
    »Ich weiß«, nickte er, und er spürte tief in seinem

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