Die Zeit: auf Gegenkurs
herumflitzten …
Lotta stieß einen kindlich klingenden Entsetzensschrei aus. »Duck dich!« brüllte er wütend. Eins der kleinen Kinder richtete ein Rohr auf ihn, und er erkannte die Waffe: ein alter Laserstrahler aus dem Krieg; nicht einmal die Polizei durfte sie benutzen. »Runter mit dem Ding«, befahl er dem Kind mit vorgehaltener Waffe. »Du bist verhaftet; du bist im Besitz einer verbotenen Waffe.« Er fragte sich, ob das Kind damit umgehen konnte; er fragte sich …
Das vertraute rubinrote Glühen eines Laserstrahls. Der Strahl traf ihn.
Und Tinbane starb.
Lotta kauerte hinter dem großen Doppelbett des Hotelzimmers und sah, wie der Laserstrahl Joe Tinbane tötete; sie sah mehr und mehr Kinder, ein ganzes Dutzend, stumm feuernd, die Gesichter vor Freude verzerrt. Ihr gräßlichen kleinen Ungeheuer, dachte sie entsetzt. »Ich ergebe mich, bitte«, rief sie ihnen mit bebender Stimme zu, die nicht ihr zu gehören schien. »Okay?« Unsicher stand sie auf, stolperte gegen das Bett und wäre fast gestürzt. »Ich komme mit in die Bibliothek; okay?« Sie wartete. Und die Laserstrahlen flammten nicht mehr auf; die Kinder schienen zufrieden zu sein; jetzt sprachen sie in ihre Funkgeräte, mit ihren Vorgesetzten. Um ihnen mitzuteilen, was geschehen war, und neue Anweisungen einzuholen. O Gott, dachte sie und starrte auf Tinbane hinunter. Ich wußte, daß es passieren würde; er war so von sich selbst überzeugt, und das bedeutet immer das Ende. Das ist es, was zum Untergang führt.
»Mrs. Hermes?« sagte eins der Kinder mit schriller Stimme.
»Ja«, sagte sie. Warum es abstreiten? Sie wußten, wer sie war. Sie hatten gewußt, wer Joe Tinbane war – der Mann, der die Löscher angegriffen und sie aus der Bibliothek befreit hatte.
Ein Erwachsener tauchte auf. Der Hotelbesitzer, der ihnen das Zimmer vermietet hatte; ein Spitzel der Bibliothek, wie sie jetzt begriff. Der Mann sprach mit den Kindern, dann hob er den Kopf und winkte sie zu sich.
»Warum haben Sie ihn erschossen?« fragte sie benommen; sie ging an Joe Tinbane vorbei, zögerte; vielleicht sollte sie bei ihm bleiben, sich auch erschießen lassen – vielleicht war der Tod der Rückkehr in die Bibliothek vorzuziehen.
»Er hat uns angegriffen«, sagte der Hotelier. »Zuerst in der Bibliothek, dann hier. Er hat Mr. Appleford damit geprahlt, daß er mit uns fertig wird; es war eine Kriegserklärung.« Der Mann nickte in Richtung eines VW-Schwebebusses. »Würden Sie bitte einsteigen, Mrs. Hermes?« Der Bus trug an der Seite die Aufschrift: STADTBIBLIOTHEK. Ein offizieller, gekennzeichneter Bus.
Mit unsicheren Bewegungen stieg sie ein; die Kinder, schwitzend und vor Aufregung keuchend, drängten ihr nach und nahmen sie in die Mitte. Aber sie sprachen nicht mit ihr; mit gedämpften, triumphierend klingenden Stimmen redeten sie aufeinander ein. Sie freuen sich, erkannte sie. Sie sind so froh darüber, daß sie der Bibliothek noch immer von Nutzen sind, selbst in ihrem geschrumpften Zustand. Sie haßte sie.
14. K APITEL
Aber der Morgen ist noch nicht gekommen
und das Gestern verloren.
Und du lebst diesen Tag nur in diesem vergänglichen,
flüchtigen Moment.
– Boethius
Der TV-Nachrichtensprecher sagte: »Es scheint, als ob sich alle Einwohner von Los Angeles heute abend auf den Weg gemacht haben, um den Führer der Uditen, Seine Heiligkeit Ray Roberts, zu bestaunen und zu bejubeln, der kurz vor neunzehn Uhr auf dem Flughafen von Los Angeles gelandet ist. Empfangen wurde er von Bürgermeister Sam Parks und von Judd Asman, dem Abgesandten des Gouverneurs aus Sacramento.« Der Fernsehschirm zeigte eine große, dichtgedrängte Menschenmenge; viele riefen und winkten, andere schwenkten Transparente mit handgeschriebenen Parolen, die von HAU AB bis zu WILLKOMMEN reichten. Im allgemeinen machten die Zuschauer einen friedfertigen Eindruck.
Ein großes Ereignis in unserem kärglichen, armseligen Leben, dachte Sebastian säuerlich.
»Seine Heiligkeit«, fuhr der Sprecher fort, »wird mit einer Autokolonne zum Dodger Stadion fahren, wo er im Flutlicht eine Rede an die Zuschauermassen halten wird, bei denen es sich hauptsächlich um Anhänger handelt, wenngleich die Zahl der Neugierigen und Schaulustigen nicht gering ist; zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt besucht damit ein großer religiöser Führer Los Angeles und knüpft so an die guten alten Zeiten an, in denen die Stadt zu den religiösen Zentren der Welt gehörte.« Der Sprecher wandte sich an
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