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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Autoren: Mandy Kopp
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Schlag kommen sollte, war allerdings neu. Es waren nicht die Dämonen aus der Vergangenheit, die mich einholten, sondern neue Dämonen. Ihren Namen kannte ich bereits.
    Es war an einem Morgen in der Dusche, als ich eine Veränderung in meinem Körper spürte. Irgendetwas war anders als sonst. Panisch vereinbarte ich einen Termin mit der Frauenärztin. Sie versuchte, mich zu beruhigen, machte einen Abstrich und entnahm mehrere Proben. Sie verabschiedete mich mit der Bemerkung, dass ich einen Brief erhalten würde.
    In den nächsten Tagen machte ich einen großen Bogen um den Briefkasten. Ich hatte Angst, dass mein mulmiges Gefühl Gewissheit werden würde.
    Wolfgang war es, der nach der Arbeit die Post aus dem Kasten holte. Ich saß in der Küche und wartete mit einem frischen Kaffee auf ihn, wie jeden Tag. Er gab mir einen Kuss und legte die Post auf den Tisch. Der kleine Umschlag mit dem Stempel der Praxis lag gleich obenauf. Er enthielt ein kurzes Schreiben, nur die Aufforderung, mich mit meiner Frauenärztin in Verbindung zu setzen. Vermutlich waren die Laborwerte da. Ich griff zum Hörer, bisher hatte man mir meine Werte immer telefonisch mitgeteilt. Diesmal sagte mir die Sprechstundenhilfe nur, dass ich am nächsten Tag nach der offiziellen Behandlungszeit vorbeikommen solle. Das war ungewöhnlich. Oder vielmehr, das war nicht gut. »Es tut mir leid, mehr kann ich Ihnen momentan nicht sagen.«
    Wolfgang versuchte, mich zu beruhigen. »Das ist sicher nichts Schlimmes, vielleicht hast du ja Eisenmangel. Wäre ja eigentlich kein Wunder.« Vielleicht, eigentlich, Scheiße.
    In der Nacht bekam ich kein Auge zu, ich malte mir ein Schreckensszenario nach dem anderen aus. Es war der blanke Horror. Am nächsten Morgen war ich fahrig und nervös. Die Zeit bis zum Ende der Sprechstunde zog sich wie Kaugummi.
    Als ich endlich drankam, sah mich meine Ärztin ernst an. Dann sagte sie: »Ich bin immer wieder verblüfft, wie gut Sie Ihren Körper kennen.« Der PAP -Virentest sei positiv gewesen, an sich kein Grund zur Sorge. »Viele Frauen tragen das in sich, es muss nicht sein, dass der Gebärmutterhalskrebs auch ausbricht. Momentan befinden Sie sich im Frühstadium, eine Vorstufe, die wir im Auge behalten müssen.« In drei Monaten solle ich zur Kontrolle erscheinen, wenn der Befund sich bis dahin nicht geändert hätte, müsste man eine Gewebeprobe durchführen.
    Als ich nach Hause fuhr, dachte ich, dass sich der Krake einen anderen Weg gesucht hatte, um mein Leben endgültig zu zerstören.
    Drei Monate später wurde eine Gewebeprobe entnommen. Ein befreundeter Arzt riet mir, eine zweite Meinung einzuholen, um Gewissheit zu erlangen. Das Ergebnis war ernüchternd. In einem zweiten Schritt wurde ambulant ein Teil des Gebärmutterhalses entfernt und genauer untersucht. Ich erfuhr erst hinterher, dass sie mir mehr Gewebe herausgeschnitten hatten als für einen Schnellschnitt notwendig. Fünf Tage später wurde ich in die Klinik einbestellt.
    Der Tumor war bösartig und invasiv. Er war schnell gewachsen, niemand konnte sagen, wann und wo er zu streuen beginnen würde und ob er das nicht längst getan hatte. Die Lymphknoten und Eierstöcke schienen frei zu sein, was schon mal eine gute Nachricht war. Dennoch war Eile geboten. Chemo? Bestrahlung? Totaloperation? Oder alles auf einmal? Ich entschied mich für die OP . In sechs Wochen sollte sie stattfinden. Eine Entscheidung, die nicht ich gefällt hatte, sondern ein kleines fieses Tier namens Krebs.
    Die nächsten sechs Wochen waren ein einziger Alptraum. Der Gedanke, dass ich meine Kinder nicht aufwachsen sehen würde, quälte mich. Mein zweiter Sohn war gerade mal ein Jahr alt, er würde sich an seine Mutter nicht mehr erinnern können. Ich hatte das Gefühl, ihn und Raphael im Stich zu lassen. Ich würde erneut versagen, wie bei meiner Mutter, bei Lea, wie vor Gericht, wie in meiner Ehe, wie überhaupt in meinem ganzen beschissenen Leben. Ein einziger roter Faden, zusammengedreht zu einer fetten Schlinge, die irgendjemand – oder ich selbst? – um meinen Hals gelegt hatte und die sich immer fester zuzog.
    Wolfgang war keine Hilfe. Er machte einfach weiter wie zuvor, so, als gäbe es die Diagnose nicht. Es dauerte Wochen, bis ich ihn an einem Abend verzweifelt anschrie. Dass er mich nicht wahrnehmen und alles wegschieben würde. Ich hätte genauso gut mich selbst anschreien können. Er war überrascht über meinen Ausbruch, hielt sich die Hand an die Brust und schnappte nach
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